Donnerstag, 1. Juni 2017

§ 16.

[§ 16.]

Nun bieten sich zwei Fragen dar, die nur durcheinander beantwortet werden können, aber da hier lieber dem System als der //173// Verständlichkeit Abbruch getan wird, so werden die Untersuchungen geteilt; die Resultate werden zusammenfallen. 

Es ist geredet worden von einem ursprünglichen Begriffe, in dem die Aufgabe der Selbstbeschränkung liegt, und von einer solchen Beschränkung; daran soll alles im Bewusstsein sich knüpfen. - Was ists also eigentlich, was in diesem Begriffe begriffen wird, wovon geht alles Bewusstsein aus?

Es wäre die Frage nach dem Materialen. Es ist ein vernünftiges Wesen außer uns, welches noch bewisesen werden wird, denn alles äußere Bewusstsein geht von einem vernünftigen Wesen aus, sowie auch das innere [Bewusstsein] nur von dem Intelligiblen, von der Ichheit ausgeht. Die Sinnlichkeit ist nur Versinnlichung, nichts Ursprüngliches. Die Behauptung einer Vernunft außer uns ist bloßer reiner Gedanke - in die Erscheinung gelegt. Dieser reine Gedanke ists, von dem die Erfahrung ausgeht. Diese Frage lassen wir liegen. Knüpft sich aber ein fortlaufendes Bewusstsein an den ersten Punkt an - wie kommt die Reihe der sukzessiven Vorstellungen zu Stande? Sie fragt nach dem Formalen. Diese behandeln wir hier.
Erklärung der Frage.

Was entsteht denn nach unseren Voraussetzungen für ein Selbstbewusstsein? Bewusstheit einer Bestimmtheit, eines Nichtkönnens, Denkens, Wollens - ? - Kann denn der Anfang des Bewusstseins eine Negation und kann irgendein Bewusstsein Negation sein? Also haben wir nur durch Erschleichung und Supplieren etwas Anderen deutlich werden können; ein positives Bewusstsein haben wir noch nicht abgeleitet. Die Negation ist nicht das Objekt selbst. Es wurde gesagt, unser ursprüngliches Bewusstsein sei eine Aufgabe einer uns selbst zuzufügenden Beschränkung; wo soll aber das Materiale, das wir nicht tun sollen, herkommen? -

Es beantwortet nicht, wenn man sagt, die innerliche Nachahmung kommt nicht zum Bewusstsein, es ist nicht Objekt, sondern bloß Instrument, zu einem Objekt zu gelangen, sonach //174// müsste mit dem Gefühle der Begrneztheit doch ein wirkliches positives Wollen vereinigt sein, und die Vereinigung des Positiven mit der Negation müste notwendig sein. Es müsste doch ein empirisches Wollenb in jenem Begriffe der Aufgabe schon drinne liegen, dies ist aber ein Wollen nach einem Zweckbegriffe. Also kommen wir wieder darauf zurück: Wie ist ein Zweckbegriff möglich? Hier wird es beantwortet.
Nota I. 
 - "Die Sinnlichkeit ist nur Versinnlichung, nichts Ursprüngliches." Dieser Satz, aus seinem diskuriven Zusmmenhang gerissen und in ein Lehrbuch geschrieben, würde die Wissenschftslehre auf den Kopf - sic - stellen. Fast zweihundert Jahre lang ist sie im Schulbetrieb aber so darggestellt worden. In seinem Zusammenhang lautet der Satz aber: Im Bewusstsein (nicht: "für" das Bewusstsein, im Gegenteil!) ist Sinnlichkeit nichts Ursprüngliches, sondern lediglich Versinnlichung der Tätigkeit der Intelligenz.
Nota II.
 - Wenn ich annehme, das Ich sei 'Tätigkeit überhaupt', dann ist diese Vorstellung nur soweit bestimmt, dass sie kein Leiden ist. Darüber hinaus ist sie gänzlich unbestimmt. Soll ich sie aber einschränken, so muss ich das, was sie nicht sein soll, seinerseits 'positiv' bestimmen. - Es sollte sich zeigen, dass wir auch dieses 'Positive' nur durch Entgegensetzung bestimmen können. Wenn aber Bewusstsein Bestimmtheit sein soll, dann kann es nur durch Negation... entstehen.
Das ist nicht neu. Nun ist in der Wissenschaftslehre außer dem Anfang gar nichts 'neu'. Sie ist überall nur Fort- bestimmung des Ersten Grundsatzes. 
Nota III.
 - Tätigkeit oder Leiden, ein Drittes gibt es für die Wissenschaftslehre nicht. Ein Drittes, reine Ruhe, gibt es nur im Begriff, als Vorstellung von nicht-Etwas. Die Wissenschaftslehre hat aber das lebendige Vorstellen zum Gegenstand, nicht das Nicht-Vorstellen. 
JE
1.

Durch den beschriebenen Akt, wenn er allein möglich wäre, könnte bloß objektive Erkenntnis entstehen. Bestim- mung eines Seins im Gegensatze des Tuns, da bloß Beschränktheit da ist; Sein aber ist die Versinnlichung der Beschränktheit.
2.

Aber alle Erkenntnis des freien Wesens bezieht sich notwendig auf sein Wollen und Handeln; es kann also ursprüng- lich nicht bloßes Bewusstsein des Seins stattfinden. Es wird nicht erkannt, ohne dass man sich im Handeln danach richte, alle Erkenntnis ist praktisch nicht nur in Rücksicht der Veranlassung, sondern auch in Rücksicht des nachmaligen Handelns. Sein und Handeln stehen in ununterbrochener Wechselwirkung, da ja beides nur eins ist, nur ange- sehen von verschiedenen Seiten. - 

Das bloß objektive Denken, die bloß sinnliche Erkenntnis ist nur synthetisch mit dem Bewusstsein des ersten ver- knüpft. Der synthetische Vereinigungspunkt ist: Das bloß Erkannte (das Sein) ist immer das Bestimmbare, das Wollen immer das Bestimmte; Bestimmbares und Bestimmtes sind unzertrennlich vereinigt, alle Erkenntnis wäre also eine Erkenntnis eines durch meinen Willen Bestimmbaren. Das Resultat ist: Das in dem ersten Momente des Bewusstseins Erkannte wird notwendig angesehen für ein Objekt der Wahl durch freien Willen. (Oben wurde das Objekt vorgestellt als das beschränkende Hindernde; alle Ansichten werden sich vereinigen.)

So etwas nun, ein in der Wahl und für die Wahl Bestimmbares, ist für den Zweckbegriff notwendig, denn er ist die Bestimmtheit, die aus dem Bestimmbaren hervorgeht. Schon lange kannten wir den Zweckbegriff der Form nach, es ließ sich nur nicht einsehen, woher das Mannigfaltige für die Wahl ohne empi-//175//rische Erkenntnis kommen konnte: Darauf wird geantwortet, diese Erkenntnis ist ursprünglich gegeben.
Nota.
 Das ist einmal eine Sammlung von Sinn- und Kernsprüchen:
"Sein ist die Versinnlichung der Beschränktheit."
"Alle Erkenntnis des freien Wesens bezieht sich notwendig auf sein Wollen und Handeln. Es wird nicht erkannt, ohne dass man sich im Handeln danach richte, alle Erkenntnis ist praktisch..."
"Das bloß Erkannte (das Sein) ist immer das Bestimmbare, das Wollen immer das Bestimmte."
"...es ließ sich nur nicht einsehen, woher das Mannigfaltige für die Wahl ohne empirische Erkenntnis kommen konnte: Darauf wird geantwortet, diese Erkenntnis ist ursprünglich gegeben.
  
Und wie immer empfiehlt es sich, auch diese Kernsprüche nicht außerhalb ihres Zusmmenhangs zu zitieren. Bloß dem letzten Satz - dass die empirische Erkenntnis urspünglich gegeben sei - gebührt eine Sonderstellung
 (Apodiktisch nehmen sollte man ihn dennoch nicht; höchstens, dass wir das Empirische ursprünglich als ein Objekt der Wahl ansehen.)
JE
3.

Ein Bestimmbares durch meinen Willen gibts nur, in sofern wirklich im Bewusstsein ein bestimmter Wille da ist, denn das Bestimmbare ist nur durch das Bestimmte möglich; und letzteres ist bloß Resultat eines Über- gehens aus der bloßen Bestimmbarkeit, und Bestimmbares ist eben das, wodurch übergangen wird. 

Diese beiden müssen schlechthin beisammen sein; hier ist leicht Irrtum möglich, nämlich im Fortgange eines schon angeknüpften Bewusstseins lässt sich ein Bestimmbares denken, ohne daraus zu wählen; aber beim Anfange des Bewusstseins ist eine solche Abstraktion nicht möglich. -

Bestimmbares und Bestimmtes müssen also notwendig eins sein. Folglich müsste mit jeder Erkenntnis vom Objekte (dem Bestimmbaren für ein mögliches Wollen) ein empirisches Wollen unmittelbar in demselben Momente vereinigt sein. Uns im wirklichen Bewusstsein scheint Wahl und Dekret des Willens so, dass die Wahl dem Wollen vorhergeht. 

Hier geht das Bestimmbare dem Bestimmten voraus, aber indem ich wähle, weiß ich doch, dass ich wähle; dies heißt nichts anderes, als dass ich meine Deliberation auf ein Wollen beziehe. Aber woher weiß ich denn, was Wollen heißt? Nur, in wiefern ich schon gewollt habe. Diese Form des Wollens beziehe ich demnach auf die Wahl. Das wirkliche Wollen kann ich nur durch das wirkliche Wollen kennen. Hier stehen wir aber am Anfange des Bewusstseins, wo die Form des Wollens nicht übertragen werden kann; hier müsste also Wollen und Deliberieren zusammenfallen.
Nota.
  Er sagt es mehrfach: Hier ist noch die Rede vom Anheben des Bewusstseins; nicht schon vom täglichen Geschäft des diskursiven Denkens: eines "schon angeknüpften Bewusstseins". Wir sind immer noch bei der Frage: Wie ist es möglich, dass aus dem noumenal angenommenen reinen Willen eines noumenal angenomme- nen reinen Ichs zum wirklichen Wollen einer empirischen Person wird?
Eins hatten wir gestern: Die Erkenntnis der Mannigfaltigkeit der möglichen Objekte des Wollens ist "ursprüng- lich gegeben". Heute müsste sich nun der reine Wille zum wirklichen Wollen eines empirischen Objekts zusam- menraffen. Das erwähnte Ich müsste also schon wissen, 'was Wollen überhaupt ist'. Das kann es nicht, solange es noch nicht wirklich gewollt hat. Beim allerersten  Mal - dies alles ist eine noumenale Fiktion - müsste das Wollen aus dem Deliberieren, dem Erwägen der Möglichkeiten, selbst entsprungen sein als - allmähliches Über- gehen vom Schwanken zwischen den beiden Entgegengesetzten zu einem "Kontrahieren", dem Festlegen auf eine der beiden Seiten.
JE

Ein wirkliches Wollen erscheint als Übergehen von der Bestimmbarkeit zur Betimmtheit, charakterisiert durch die völlige Kontraktion meines ganzen Wesens auf einen einzigen Punkt, da [=während] das beim Denken nicht ist, da man zwischen Entgegengesetzen schwebt. (Alles empirische Wollen ist etwas Bestimmtes, aber es gibt zweierlei Bestimmt- heit: unvollendete und vollendete, erstere erscheint als Denken, letzteres als Wollen; in dem Wollen erscheint noch ein Blick aufs //176// Entgegengesetzte, aber wenn ich will, will ich dies und nichts anderes; das andere durchs Denken Angeschaute liegt nicht im Wollen.)

Nun erscheint alle Bestimmtheit als Übergehen pp; es gibt also auch zweierlei Bestimmbarkeit: eine fürs Denken und eine fürs Wollen, das Denken selbst ist Bestimmbarkeit des Wollens. Wollen ist quasi die zweite Potenz unseres empirischen Vermögens, Denken ist die erste. Uns ist insbesonder um die Unterscheidung des empirischen Wollens vom reinen zu tun; alles, worauf die [ideale] Tätigkeit je reflektieren kann, das höchste Bestimmbare, ist das reine Wollen. Dieses Ganze wird vor allem bestimmt durch das Denken eines mich beschränkenden Begriffs (Individu- alität). 

Es sind drei Grade: 1) reine Wille, Absolutheit der gesamten Vernunft, des Vernunftreichs, diese ist das höchste Bestimmbare, wird weiter bestimmt [dadurch], dass etwas aufgefasst wird 2) Individualität. Dies ist Bestimmbares 3) für ein einzelnes Moment des Bewusstseins, für einen bestimmten Willen. Das empirische Wollen ist bloß Reflexion auf das reine Wollen überhaupt.
Nota I.
- Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: In der transzendentalen Auffassung, als Noumenon, ist das reine Wollen als das höchste Bestimmbare aufgefasst, denn es ist von Allem das allererste. Weil es aber reines Wollen ist, wird seine Bestimmbarkeit und das Übergehen zur Bestimmtheit nie zu einem Schluss kommmen, das Bestimmen geht ins Unendliche fort. Den fiktiven Zielpunkt kann oder muss ich sogar mir denken als das Eine Absolute, Zweckbegriff an-sich als Gegen stand des Wollens an-sich; Noumena alle beide. 
Nota II.
- Der Begriff, der das Ich ursprünglich beschränkt, bestimmt es als Idividualität - und dahin muss die tranzendentale Ableitung schließlich kommen, denn real ist nicht Vernunft-überhaupt, sondern sind die realen vernünftigen Individuen ihr Ausgangspunkt. Der muss in der transzendentalen Rekonstuktion wieder aufgefun- den werden. 
Nota III.
- In der transzendentalen Analyse ist das Wollen das letzte Aufgefundene, in der synthetischen Rekon- struktion ist es das erste Vorauszusetzende. In der Realität kommt das Denken - "Deliberieren" - vor dem Wollen, empirisch ist das Wollen immer schon bestimmt als das Wollen von diesem oder jenem, erst in der transzendentalen Reflexion scheint auf, dass es dem Denken noumenal immer schon zu Grunde lag.
JE
 4. 

Wie wird beschriebene Reflexion möglich sein? Nur so, dass die Erkenntnis in Beziehung auf eine Beschränkung durch einen Begriff nicht möglich sei ohne ein Wollen, und umgekehrt.  Dies letztere ist deutlich, es gilt durchs ganze Berwusstsein, aber die erste Hälfte, dass Erkenntnis nicht ohne ein Wollen möglich sei, lässst sich nur so denken: In der Erkenntnis müsse das Wollen drinliegen, es würde nur Bestimmbarkeit des Wollens begriffen, anders könnte es nicht verstanden werden. Dies ist der Begriff der Aufforderung zur freien Tätigkeit.

(Das Intelligible ist das einzig Ursprüngliche, die Sinnenwelt ist eine gewisse Ansicht des ersteren, mit letzterer haben wir es hier nicht zu tun; wie sich Ersteres in Letzteres verwandele vide infra. Aber in wieweit ist das Intelligible bestimmt? -

Es soll ein reiner Wille zugrunde liegen, nicht ein empirisches Wollen, oder Vernunft überhaupt oder Absolutheit des Vernunftreichs, welches bis jetzt noch unverständlich ist. Dieses //177// ist das Bestimmbare zu einem Bestimmten, letzteres bin ich als  Individuum, ich erkenne mich als Individuum, diese Erkenntnis ist oben ein Fortgehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten, ich bin - ein durch sich selbst herausgegriffener Teil aus den Vernunftwesen.

Jetzt wird stillegestanden beim Hervorgehen der Individualität aus der Vernunft, welche so hervorgeht, dass ich mich finde als etwas nicht könnend oder dürfend, was doch eigentlich ursprünglich für mich sein muss. Der bestimmte Akt hie[r]bei ist Aufforderung zur freien Tätigkeit; diese kommt her und wird so beurteilt von einem andern vernünftigen Wesen meinesgleichen. Das Selbstbewusstsein hebt also an von meinem Herausgreifen aus einer Masse vernünftiger Wesen überhaupt. -

Dieser Begriff der Selbstheit als Person ist nicht möglich ohne Begriff einer Vernunft außer uns, dieser Begriff wird also auch konstruiert durch Herausgreifen aus einer höheren weiten Sphäre. Die erste Vorstellung, die ich haben kann, ist die Aufforferung meiner als Individuum zu einem freinen Wollen.)
 Nota.
- Genetisch geht voraus 'Vernunft oder Absolutheit des Vernunftreichs' (was einstweilen noch unver- ständlich ist), in ihrer Wirklichkeit ist sie (an sich) eine 'Masse vernünftiger Wesen überhaupt', für mich wird sie durch deren Aufforderung zu freier Tätigkeit, die an micht ergeht. Meine freie Tätigkeit ist eo ipso mein mich-  selbst-Herausgreifen aus dieser Masse, mein Werden-für-mich, Werden zum Individuum = empirische Person, und als eine solche finde ich micht beschränkt; dieses ist Selbstbewusstsein 
- Dieses Schema hier nur, um zu zeigen: Das Prius ist nicht Bewusstsein, sondern Vernunft, sie geht ('an sich') der Bewusstwerdung voraus. Denn dies ist der Gang der Wissenschaftslehre: Sie geht aus von der Tatsache der Vernunft, anders wäre Vernunftkritik nicht möglich; sie besteht - vor allem andern - in der sicheren Annahem, dass den Vorstellungen in unserm Bewusstsein etwas außerhalb unseres Bewusstseins entspricht. Die Wissen- schaftslehre soll demonstrieren, wie das möglich ist; wie Vernunft wirklich wird. 
Die Wissenschaftslehre beschreibt nicht, wie ein anfangs bewusstloses Kind Schritt für Schritt (seiner und) der Welt bewusst wird; sie rekonstruiert, wie Vernunft in die Wirklichkeit gekommen ist. Dabei schwankt Fichte lange Zeit zwischen der Auffassung, sie habe sich in der Wirklichkeit überhaupt erst ausgebildet, und der Annahme, es hätte sie außerhalb der Wirklichkeit 'immer schon gegeben'. Letzteres wäre ein Überbleibsel aus dogmatischer Vorzeit.
 JE

Dies ist eine Erkenntnis, wie wir sie suchten, in welcher das Wollen gleich drinnen läge; mit ihrer Erkenntnis ist ein Wille begleitet. Sinnlich betrachtet ist es so: Entweder ich handle nach dem Willen oder nicht; habe ich die Aufforderung verstanden, so entschließe ich mich doch durch Selbstbestimmung, nicht zu handeln, der Aufforderung zu widerstreben, und handele durch Nichthandeln.

Freilich muss die Aufforderung verstanden sein, dann muss man aber handeln, auch wenn man ihr nicht gehorchet; in jedem Falle äußere ich meine Freiheit. So müssten wirs uns jetzt denken. Aber kann man höher fragen: Welches ist der transzendentale Grund für diese Behauptung? Der Zweck wird uns mit der Aufforderung gegeben, also: Die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären - ist das wichtigste Resultat, es besteht nur im Ganzen durchs Ganze und als Teil des Ganzen; denn wie soll sonst Kenntnis eines Vernunftwesens außer ihm zu erklären sein, wenn in ihm kein Mangel ist? 

Dies ist so dargetan worden: Wir haben uns Mühe gegeben, den Zweckbegriff zu erklären, da kamen wir in einen Zirkel. Nun aber ist ie beantwortet, denn im Fortlaufe der Vernunft ists damit nicht schwer, es ist nur darum zu tun, den ersten Zweckbegriff dar-//178//zulegen: Den ersten bekommen wir, doch wird uns der Zweck nicht als Bestimmtes, sondern überhaupt der From nach gegeben, etwas, woraus wir wählen können (vide in der Rechtslehre Folgerungen daraus). Kein Idividuum kann sich aus sich selbst erklären. Wenn man also auf eine erstes Individuum kommt, worauf man kommen muss, so muss man auch ein noch höheres unbegreifliches Wesen annehmen.
Nota. 
- Das ist nunmal ein dicker Hund. Lange schwankt er, ob die Vernunft gedachte Summe wirklicher Vernünftigkeit sein soll, oder vielmehr wirkliche Vernünftigkeit nur die Individuation eines unbegreiflichen vorgegebenen Ganzen. An dieser Stelle nun sieht er der Frage direkt ins Auge - und entscheidet sich für die dogmatische Antwort.
Wobei ihm den Obersatz niemand abstreiten kann: Vernunft 'gibt es' nur als die Gesamtheit vernünftiger Wesen. Ein isoliert lebendes Individuum muss nicht nur nicht, sondern kann auch gar nicht vernünftig sein, denn Vernünftigkeit ist kein Verhältnis, das er zu sich selbst, sondern eines, das er zu Anderen hat. Seine Ver- nünftigkeit besteht aber in nichts als der Suche nach den Zwecken, über die er mit Anderen übereinstimmt; Fortschreiten im gemeinsamen Bestimmen des Bestimmbaren.
Dann mag man immer das Terrain des gemeinsam Bestimmten als (seiende) 'Vernunft' bezeichnen; es bleibt aber das vorläufige Resultat eines aktualen Bestimmens, das anders als unendlich gar nicht vorgestellt werden kann.
JE 

§ 16 [Zusammenfassung]
 
Diese Aufgabe, sich selbst zu beschränken, ist von einer anderen Seite angesehen Aufforderung zu einer freien Tätigkeit (da sie nicht erscheint als hervorgehend aus dem Individuo, sondern einer Vernunft außer uns); aber es ist keine Bestimmung durch uns selbst, wenn sie nicht durch ein wirkliches Wollen begleitet ist, es schließt sonach das Bewusstsein eines wirklichen Wollens an jene Wahrnehmung einer Aufforderung zur Freiheit sich an. 

Anmerkung: Die Hauptschwierigkeit war: Das Bewusstsein kann weder durch Wollen noch Erkennen allein angeknüpft werden, sondern von beiden; aber diese sind von einander unabhängig? - Allerdings hebt es von beiden an, nur ist die Erkenntnis, von der es anhebt - Aufforderung zur freien Tätigkeit -, Kenntnis davon, dass uns ein Zweck gegeben wird; an diese schließt sich in demselben Moment ein Wollen an. In diesem X ist Wollen und Erkenntnis vereint.
Nota.
- Es wurde erst langsam deutlich: Bei dem 'ursprünglichen Begriff', der eine Aufforderung zur Selbstbe- schränkung sein sollte, hatte er von Anbeginn die 'Menge vernünftiger Wesen' im Auge, aus der 'ich' mich zu- erst 'herauslösen' muss, um zu erkennen, dass ich 'hineingehöre': um zu erkennen, dass ich, wie sie, 'zu freier Tätigkeit bestimmt' bin und ergo 'mich selbst beschränken' soll, indem ich aus der Masse der Möglichkeiten eine Wahl treffe. Mit andern Worten, die 'Aufforderung' besteht bereits in dem Umstand, dass sie eine Menge sind - der ich selber zugehöre. (Ich war zur Vernunft bestimmt, ehe ich mich zum Individuum bestimmt habe.) 
Die Herleitung war umständlich und gewunden. Dass sie ins Auge springt, kann man nicht sagen.
JE



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