Sonntag, 11. Juni 2017

§ 5.

//S. 55//
[§ 5]

Etwas ist, das anschaubar ist. Etwas und Anschauung sind Wechselbegriffe. Das, wozu sich die Selbsttätigkeit bestimmt, ist Etwas: Was ist es denn? Dies soll unsere Untersuchung sein.

1) Das bis jetzt Reflektierte war ein Zustand der Intelligenz. Es [unleserlich] war Bestimmbarkeit, Übergehen und Bestimmtheit, dies lag im einfachen Faktum. Wie kommt es nun, dass bestimmbar und bestimmt anschaubar ist? Im vorigen Zustand konnte diese Frage nicht aufgeworfen werden, es ist da anschaubar. Wenn ich nun nach der Möglichkeit frage, so gehe ich aus dem Faktum heraus, erhebe mich über dasselbe und mache das zum Objekt, was vorher Reflexion war, einer neuen Reflexion.

Hier bleiben noch die Fragen liegen: Wie ist es möglich, sich über die erste Reflexion zu erheben? Wir nehmen hier die Reflexion mit Freiheit vor; es wird uns dadurch mancherlei entstehen. Wenn nur das, was entsteht, notwendige Bestimmungen des Bewusstseins sind: Wie kommen wir dazu?
Nota.
 - Nur was durch die Anschauung gegeben hat, ist etwas, und wo keine Anschauung ist, ist nichts. Doch etwas ist nicht Sein und nichts ist nicht das Nichts. Etwas ist all das, was in der Schulsprache Phänomen oder Erscheinung heißt. Die einzige Bestimmung daran ist, dass es anschaubar ist; darüberhinaus ist es unbestimmt=bestimmbar.
JE

//56// Zuletzt wird also ein Grund der jetzt zu beschreibenden Reflexion aufgestellt werden müssen, denn sonst wird uns unser Verstehen nichts helfen. Es wird uns hier gehen wie oben: Da wurde erst das unmittelbare Bewusstsein beschrieben als ideales sich selbst Setzen. Dann wurde das Ich in diesen Zustand gesetzt, dies schien Sache der Frei- heit zu sein, aber es wurde gezeigt, dass, wenn ein Ich möglich sein sollte, diese Handlungen [notwendig] vorgenommen werden mussten.
 
2) Die Frage ist, wie wird doch das durch absolute Spontaneität Hervorgebrachte anschaubar, oder was ist es eigent- lich?

Wir haben schon oben gesehen, dass die Frage [lautet?], was ein Gegensatz bedeutet. Wenn ich frage: Was ist x? so schwebt mir eine Sphäre von Mannigfaltigem vor, was x sein könnte, ich will wissen, was x unter dem Mannigfaltigen sei, sonach müssen wir wissen, wem das durch Selbstbestimmung Hervorgebrachte entgegengesetzt werden soll.

Bestimmbarkeit und  Bestimmtheit ist bezogen auf ideale Tätigkeit, die gebunden ist, nicht Tat, sondern Zustand des Ich ist. Sonach ist der Charakter des hier Angeschauten ein Haltendes [sic], beziehbar auf die Anschauung. Es wird sich vielleicht zeigen, das alles Anschaubare ein Haltendes ist, weil die ideale Tätigkeit ein solche ist, die bloß folgen kann.

Alle ideale Tätigkeit bezieht sich unmittelbar lediglich auf reale Tätigkeit. Was also das Haltende immer ist, so kann sich die ideale Tätigkeit doch nur mittelbar darauf beziehen. Sonach müsste die praktische Tätigkeit gebunden sein, wenn die ideale erklärt werden sollte, so dass alle Beschränktheit, die im Bewusstsein vorkommt, ausgehen müsste von der praktischen Tätigkeit.
Nota.
 -- In der unablässigen Reflexion geschieht ein ununterbrochener Stellungswechsel. Jedes für sich ist nicht - sondern, entweder - oder; doch im Zusammenhang ist das eine nur früher, das andere später, das eine nieder, das andere höher auf der Reflexionsleiter. (Natürlich, denn jedes ist ein weiterer Schritt im Bestimmen: jedesmal steht eine Mannigfaltigkeit zur Auswahl, fortschreiten kann ich aber nur durch alternatives Entgegensetzen. Rückwärts betrachtet erscheint es wie gradueller Aufstieg.)
JE

Um also die Gebundenheit der idealen Tätigkeit zu erklären, müssen wir der realen zusehen.

A) Wie schon oben erwiesen, entwirft sich das praktische Ich einen Begriff von seiner Tätigkeit, welcher der Zweckbegriff heißt.

Die Tätigkeit des Ich ist ein Übergehen von der bloßen Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit. Die letztere wird aus der //57// Summe der ersten herausgerissen, und der herausgerissene Teil ist der, der begriffen wird.

Das Ich bestimmt sich, heißt, es wählt unter dem Bestimmbaren aus, die Wahl geschieht nach dem Begriffe, sonach war das Ich als Intelligenz nicht frei.

Man denke das Bestimmbare als Etwas. Dieses Prädikat kommt ihm zu, denn es ist anschaubar. Unter diesem Etwas, welches in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, wählt die absolute Freiheit. Sie kann in ihrer Wahl nicht gebunden sein, denn sonst wäre sie nicht Freiheit. Sie kann ins Unendliche mehr oder weniger wählen, kein Teil ist ihr als der letzte vorgeschrieben. Aus dieser Teilbarkeit ins Unendliche wird vieles folgen (der Raum, die Zeit und die Dinge). Unendlich teilbar ist alles, weil es eine Sphäre für unsere Freiheit ist.

Hier ist die praktische Tätigkeit nicht gebunden, weil sie sonst aufhören müsste, Freiheit zu sein, aber darin ist sie gebunden, dass sie nur aus dem Bestimmbaren wählen muss. Das Bestimmbare erscheint nicht als hervor-gebracht, weder durch reale noch durch ideale Tätigkeit; es erscheint als gegeben zur Wahl. Es ist gegeben heißt nicht, es ist dem Ich überhaupt gegeben, sondern dem wählenden, praktischen Ich. Wir haben oben gesehen, dass das Bestimmbare aus den Gesetzen der idealen Tätigkeit hervorkommt. Man kann sagen, es ist durch die Natur der Vernunft gegeben.

Die Freiheit besteht darin, dass unter allem gewählt werden kann; die Gebundenheit darin, dass unter dieser Summe gewählt werden muss. Wir erhalten hier einen Begriff der bestimmten Summe für die Wahl der Freiheit; ein Teil der Summe heißt eine bestimmte Tätigkeit oder Handlung.
Nota.
 - Das ist wieder so eine Kopfnuss: Wie kann etwas Unendliches teilbar sein? Ich greife ein Stück heraus, und übrig bleibt - das Unendliche? Dann habe ich es nicht geteilt.
So würde der Logiker reden. In der scholastischen Dialektik von Fichtes Nachfolger auf seinem Berliner Katheder stehen sich am Anfang das Sein und das Nichts als schlechthin Entgegengesetzte gegenüber und führen ein Tanz miteinander aus. Bei Fichte aber sind die Dinge nicht entgegengesetzt, sondern werden es: vom tätigen Ich.
Das unendlich Bestimmbare ist eben nicht nichts. Denn völlig unbestimmt ist es ja nicht: Im Ich ist es - a priori, wenn ich so sagen darf - bestimmt als ein Bestimmbares, als ein Zu-Bestimmendes. Bestimmen ist ein Handeln, das kommt in der Logik gar nicht vor. Nicht um die - ohne Anschauung in der Tat leeren - Begriffe geht es, sondern um das lebendige Vorstellen: "Wenn ich frage: Was ist x?, so schwebt mir eine Sphäre von Mannigfal-tigem vor, was x sein könnte, ich will wissen, was x unter dem Mannigfaltigen sei, sonach müssen wir wissen, wem das durch Selbstbestimmung Hervorgebrachte entgegengesetzt werden soll."
Nein, logisch sauber ist es nicht, Handeln ist an sich praktisch, 'bestimmend'; wenn ihm nichts "vorschwebte, was sein könnte", hätte es nichts zu wählen. Hier die Einbildungskraft, da das Urteilsvermögen, aber beide uno actu.
 JE

Anmerkung 1) Wir erhalten hier eine Summe des Bestimmbaren; dies kommt daher, weil wir über unsere vorige Reflexion wieder reflektieren, sie wird jetzt aufgefasst als ein bestimmter Zustand des Gemüts, aber dadurch wird alles vollendet und ganz, was darin liegt. Im Paragraph 1 war von einer Totalität des Bestimmbaren nicht die Rede und konnte es nicht sein, weil das Anschauende selbst in dem Bestimmbaren sich verlor.
 
//58// 2) Hier haben wir den Begriff einer Handlung erhalten. Die Selbstaffektion (§3) war nur möglich auf eine Art. Nun aber, da sie gesetzt ist als Übergehen von Bestimmbarkeit zu Bestimmtheit, muss sie möglich sein auf mannig- faltige Art. Die Selbstaffektion ist Stoß auf sich selbst; soll Verschiedenheit stattfinden, so muss etwas aus ihr Folgen- des gesetzt werden, wodurch sie als ein Mannigfaltiges erscheint, und dies ist das Handeln.
Nota.
- Was als Reflexion selber ('ideale') Tätigkeit war, wird als Reflexion auf die Reflexion (endlicher) 'Zustand'. - Nicht Begriffe 'schlagen um', sondern es wird leibhaftig vorgestellt: Die Einbildungskraft ist allezeit produktiv, die Vorstellungen werden - und werden zu etwas, was sie vorher nicht waren: Handlung. 
Der springende Punkt bleibt immer: Wenn die Freiheit sich (zu diesem oder jenem) bestimmt, kann sie es nur so tun...

JE

B) Die gewählte Handlung heiße x, sie ist Teil der soeben aufgezeigten Summe, und ihr muss das Prädikat zukom- men, welches der ganzen Summe zukommt, sie muss teilbar sein können ins Unendliche. Aber noch immer ist dieser gewählte Teil x nur charakterisierbar und anschaubar, inwiefern er bestimmt ist. Er muss dem Bestimmbaren entge- gengesetzt werden, denn nur unter dieser Bedingung ist das ganze bisher Geforderte möglich. 

Welches ist nun der Charakter des Bestimmten als solchen, wie ist von ihm das Bestimmbare unterschieden? Die reale Tätigkeit bestimmt sich zum Handeln, und diese ist nicht anschaubar, sie ist nicht Etwas, nicht teilbar, sie ist absolut einfach. Das sonach, wozu sich das Ich durch Selbstaffektion bestimmt, müsste anschaubar sein, das Handeln. Dies aber ist nicht möglich, wenn im Handeln der praktischen Tätigkeit die Freiheit nicht gebunden ist. Aber aufgehoben darf sie nicht werden, Tätigkeit muss sie sein und bleiben, sie müsste gebunden und auch nicht gebunden sein, beides müsste stattfinden. 

Ein Handeln würde so etwas sein, in welchem die reale Tätigkeit gebunden und auch nicht gebunden wäre. Das Gebundene soll die reale Tätigkeit sein; also das Leidende bedeutet etwas Aufhaltendes, und nur inwiefern die Freiheit aufgehalten ist, ist Anschauung möglich.

Die Handlung mag x heißen, und dieses x muss anschaubar sein. Nun kommt dem Handeln als einem Bestimmbaren durch Freiheit Bestimmbarkeit ins Unendliche zu, man kann sonach x teilen in A und B, und diese wieder ins Unendliche. Wenn man ins Unendliche mit der Teilung fortginge, so dürfte man keinen einzigen Punkt finden, in welchem nicht //59// läge Tätigkeit und Hindernis der Tätigkeit. Dies ist nun Stetigkeit, eine stetige Linie des Handelns, und so etwas heißt Handeln, welche in einer steten Linie fortgeht. (Von der Zeit ist hier noch nicht die Rede.)
Nota. 
- Nur was anschaubar ist, ist wirklich. Freiheit, die nicht auf ihre Grenze stößt, um sie zu überschreiten, ist keine. Wirklich ist nichts, was nicht einen Gegenstand hat, der ihm entgegensteht.
*
Die reale Tätigkeit ist als solche nicht anschaubar, sie ist nicht Etwas, sondern bloßer Gedanke. Anschaubares Etwas wird die Tätigkeit erst, weil und wenn sie auf ein Hindernis stößt, welches sie aufhält. Nicht in ihrer Tätigkeit selbst ist Freiheit anschaubar, sondern erst, wenn sie ein Objekt wählt, das ihr entgegensteht.Freiheit ist dem tätigen Ich als seine Bestimmung zuerst nur zugedacht, ihre Energie heiße reale Tätigkeit; sie 'sind' insofern, als sie den Sinn der Handlung ausmachen, die doch selber das einzig Anschaubare, das real-Reale ist. Sie ist der Ausgangspunkt der Wissenschaftslehre, und nachdem jene sie in ihrem ersten, analytischen Gang als den einzig möglichen Grund der Ichheit bloßgelegt hatte, setzt sie in ihrem zweiten, synthetischen Gang das System er Vernunft aus diesem seinen Grund wieder zusammen.
JE
 
Die Freiheit ist absolute Selbstaffektion und weiter nichts, sie ist aber kein Mannigfaltiges, also auch nicht anschaubar. Hier soll aber ein Produkt derselben anschaubar sein, sie soll also mittelbar anschaubar sein. 

Dies ist nur unter der Bedingung möglich, dass mehrere Selbstaffektionen gesetzt werden, die als mehrere nur unterscheidbar wären durch das Mannigfaltige des Widerstandes, der ihnen entgegengesetzt würde; aber ein Widerstand ist nichts ohne Tätigkeit, und inwiefern er überwunden wird, kommt er ins Ich. 

Das Ich sieht nur sich selbst, nun sieht es sich aber nur im Handeln, aber im Handeln ist es frei, also überwindend den Widerstand: Die Freiheit wirkt ununterbrochen fort, der Widerstand gibt ununterbrochen nach, [so] dass doch immer ein Widerstand bleibt. (Ein Bild davon ist das Fortschieben eines beweglichen Körpers im Raume.)
Nota.
 - Freiheit 'ist' (wie 'Ich') nur als NoumenonWirklich sind sie nur objektiv: als Wirkung, nämlich in ihrer Vereinigung mit dem Widerstand; denn die lässt sich anschauen, sie ist eigentlich alles, was wir 'haben'. Alles weitere wird in der Vorstellung lediglich hinzugedacht: aber dies notwendig, sofern wir einen Sinn darin erkennen wollen.
JE
In jedem Momente liegt Handeln und Widerstand zugleich. Dieses Handeln geht nicht rückwärts, sondern in einem fort, es ist immer ein und dieselbe Selbstaffektion, die sich immer weiter ausdehnt durch die Anschau-ung. Der einfache Punkt der Selbstaffektion wird ausgedehnt durch die Anschauung der Selbstaffektion zu einer Linie. In Verfolgung dieser Linie erhalten wir [eine] Folge bestimmter Teile. 

Dass es Teile sind und als solche aufgefasst werden, dafür liegt der Grund in der Reflexion, dass nämlich in diese Linie A, B, C, D pp. gesetzt wird; aber dass in dieser Ordnung aufgefasst wird, davon liegt der Grund nicht in der Reflexion, denn diese kann nur dem realiter Tätigen folgen, auch liegt der Grund nicht in der realen Tätigkeit, denn dies Mannigfaltige ist ja ein die reale Tätigkeit Verhinderndes, ihr Entgegengesetztes; mithin ist die reale Tätigkeit in Rücksicht der Folgen gebunden, und dies ist der Unterschied zwischen dem Charakter des Bestimmbaren und [des] Bestimmten. 
Nota.
 - Die - als solche bloß gedachte - reine Tätigkeit geht ins Unendliche fort und erscheint insofern als stetig. Sie stößt - hier tritt das Wirkliche ein! - auf einen Widerstand; sie überwindet ihn und fährt fort. Im Moment des Widerstehens wurde sie anschaulich, ein 'Quantum' der Tätigkeit wendet sich darauf und wird 'ideal'= Reflexion. Rückwärts betrachtet erscheint nun die (für sich genommen stetige) reale Tätigkeit der idealen als inter-punktiert durch A, B, C, D; nämlich durch die anschaulichen Folgen, die sie gezeitigt hat.
JE

Das praktische Ich (denn dadurch erklären wir alles) erscheint im Entwerfen des Begriffs seiner Wirksamkeit frei in Absicht des Zusam-//60//menordnens des Mannigfaltigen; darin besteht die Freiheit der Wahl. Ist aber der Begriff einmal entworfen und wird nach ihm gehandelt, dann hängt die Folge nicht mehr von ihm [=dem praktischen Ich] ab, sondern es ist in Rücksicht derselben gebunden. Die Anschauung, die ihrer Natur nach gebunden ist, wird im ersten Falle, wenn der Begriff entworfen wird, vom Praktischen hin- und hergerissen zwischen Sein und Nichtsein, im Schweben zwischen Entgegengesetzten. Im zweiten Falle, wo gehandelt wird, wird das Angeschaute dadurch, dass das Praktische selbst gebunden ist, mitgebunden; der Grund der Bestimmtheit der Intelligenz hängt ab von der Bestimmtheit des Praktischen.

Im ersten Falle heißt es der Begriff von einer bloß möglichen, im zweiten von einer wirklichen Handlung. Jetzt ist die Fragte, was x sei, beantwortet; x ist eine wirkliche Handlung und einer bloß möglichen entgegengesetzt.

Corollaria: 

1) Diese Begriffe sind besondere Bestimmungen der Intelligenz in Beziehung auf das in ihr notwendig hinzu-zudenkende praktische Vermögen. Wird das praktische Vermögen gesetzt als selbst Begriffe erschaffend, so ist dann die Intelligenz selbst frei, und dann entsteht der Begriff des Möglichen; wird es gesetzt als wirklich handeln, so ist es in Rücksicht der Folge des Mannigfaltigen gebunden, und die Intelligenz mit ihm.

2) Alles Wirkliche und Mögliche ist wirklich und möglich lediglich in Beziehung auf die Handlung des Ich; denn wir haben es von der Anschauung des Handelns abgeleitet. Die Anschauung eines Wirklichen bedingt alle Anschauung, mithin alles Bewusstsein.

Bewusstsein des Wirklichen oder Anschauung des Wirklichen heißt Erfahrung, also geht alles Denken von der Erfahrung aus und ist durch sie bedingt. Nur durch Erfahrung werden wir für uns selbst etwas, hinterher können wir von der Erfahrung abstrahieren.

Anschauung des Wirklichen ist nur möglich durch Anschauung eines wirklichen Handelns des Ich; also jede Erfahrung geht aus vom Handeln, es ist nur durch sie möglich [sic]. Ist kein Handeln, so ist keine Erfahrung, und ist diese nicht, so ist kein Bewusstsein.
Nota.
 - Möglichkeit 'ist' lediglich in der Vorstellung, nämlich sofern der Begriff von einem Zweck gefasst wurde; ist nicht die Latenzform von 'Sein', sondern ein Zweck, der zwar entworfen, aber noch nicht handelnd realisiert wurde. (Zur Erinnerung: Nach Kants Kategorienlehre gehört Möglichkeit neben Wirklichkeit und Notwendigkeit zu den Modalitäten; sie sind a priori.)
JE

//61// Die Frage, wie die Objekte, die außer uns sein sollen, zugleich in uns sein sollen, beantwortet die Wissenschaftslehre so: wenn das, was außer uns sein soll, mit dem verknüpft ist, was unmittelbar Objekt des Bewusstseins ist, und dies ist alles Tätige und Freie in uns. Nur meiner Tätigkeit kann ich mit bewusst werden, aber ich kann mir derselben nur bewusst werden als einer beschränkten.

Der Kantische Satz: Unsere Begriffe beziehen sich nur auf Objekte der Erfahrung, erhält in der Wissenschaftslehre die höhere Bestimmung: Die Erfahrung bezieht sich auf Handeln, die Begriffe entstehen durch Handeln und sind nur um des Handelns willen da, nur das Handeln ist absolut. 
 
Kant wird nicht sagen, die Erfahrung sei absolut, er dringt auf den Primat der praktischen Vernunft, nur hat er das Praktische nicht entscheidend zur Quelle des Theoretischen gemacht. In einem neueren Aufsatze der Berliner Monatsschrift: Über den vornehmen Ton..." hat er sich erklärt, dass die Freiheit das Höchste sei.
 
Die Philosophie desjenigen, welcher behauptet, dass der Mensch vorstellend ohne Handeln sei, ist bodenlos. Hier wird es recht klar, was es heißt: Das Ich sieht die Welt in sich; oder: Gibt es keine praktische, so gibt es auch keine ideale Tätigkeit; gibt es kein Handeln, so gibts auch kein Vorstellen.

Nota.

 - Kurz, der Zweckbegriff ist die Grundform des Begriffs; alle andern sind Abstraktionformen. Oder Auch: Begriff ist Absicht.

JE



3. In der allein anschaubaren und in dieser Hinsicht [allein] wirklichen Handlung liegt zweierlei: Freiheit und Be- schränkung. Tätigkeit und Aufgehobenheit der Tätigkeit, und zwar beide in jedem Momente des Handelns vereinigt.

Es wird sich finden, dass jene Beschränktheit des Handelns zu einem NichIch führt, zwar nicht auf ein an sich Vor- handenes, sondern auf etwas, das durch die Intelligenz notwendig gesetzt werden muss, um jene Beschränktheit zu erklären. Es dürfte sich auch im Einzelnen ergeben, dass alle mögliche Wirklichkeit, die es geben kann, aus einem Wirklichen entstehe.  Der Urgrund alles Wirklichen ist daher die Wechselwirkung oder Vereinigung des Ich und NichtIch. Das NichtIch ist sonach nichts Wirkliches, wenn es sich nicht auf ein Handeln des Ich bezieht, denn nur durch diese Bedingung und Mittel wird es Objekt des Bewusstseins. Da-durch wird nun das Ding an sich für immer aufgehoben.

So ists auch mit dem //62// Ich; das Ich kommt im Bewusstsein nur in Beziehung auf ein NichtIch vor. Das Ich soll sich setzen, es kann dies aber nur im Handeln; Handeln ist aber eine Beziehung auf ein NichtIch. Das Ich ist nur in sofern etwas, als es mit der Welt in Wechselwirkung steht, in dieser Verbindung kommen beide vor.

Hinterher, wenn man sie gefunden hat, kann man sie trennen, aber jedes, wenn es abgesondert betrachtet wird, erhält seinen ursprünglichen Charakter; jedes wir nur in Beziehung auf das andere vorgestellt.



Hierin dient nun die Wissenschaftslehre der Kantischen Philosophie zur Erläuterung und tieferen Begründung. Kant wollte auch nichts wissen von einem NichIch ohne Ich und umgekehrt; beide sind kritischer Idealismus und unter- scheiden sich dadurch von aller vorkantischen Philosophie. 


Der kritische Idealismus ist kein Materialismus oder Dogmatismus. Kein Materialismus, der von Dingen ausgeht, kein Idealismus, der von einem Geiste als Substanz ausgeht. Kein Dualismus, der vom Geist und von Dingen an sich als abgesonderten Substanzen ausgeht. Der kritische Idealismus geht aus von ihrer Wechselwirkung als solcher, oder als Akzidenz beider (Substanz und Akzidenz sind Formen unseres Denkens.) Dadurch wird er der Notwendigkeit überhoben, eines von beiden zu leugnen. Der Materialismus leugnet das Geistige, der Idealismus die Materie. 
 
Dieses System hat auch nicht die unauflösliche Aufgabe, zu vereinigen, was nicht zu vereinigen ist, nachdem es einmal getrennt worden, wie der Dualismus; es findet beide vereinigt.
 
Auf diese Wechselwirkung kommt es der Wissenschaftslehre vorzüglich an. (Am besten verstanden von Herrn Hof- rat Schiller in den Briefen über ästhetische Erziehung in den Horen.) Das Ich ist nur anschaubar in der Wechselwirkung mit dem NichIch. Es kann außer dieser Verbindung gedacht werden, aber dann ists nicht wirklich, es ist dann nur eine notwendige Idee. Aber das NichtIch kann nicht gedacht werden, außer in der Vernunft. Das Ich ist das Erste, das NichtIch das Zweite, drum kann man das Ich abgesondert denken, aber nicht das Nicht-Ich.

 Nota.

 - Positio und negatio, Sein und Nichts haben nicht denselben (onto)logischen Rang. Man muss das eine vor dem andern denken, es lässt sich nicht umkehren. Die Passivität lässt sich erst vorstellen, nachdem die Aktivität angeschaut wurde; erst das Tun, dann das Lassen. Der kritische Idealismus geht aus von der Anschauung des Handelns; erst aus ihr wird auf Ich und NichtIch geschlossen: aber das Eine als vorausgehend dem Andern: Das Nichthandeln lässt sich nicht anschauen.

JE



4) Die erste Anschauung war ohne die Bestimmungen, die wir jetzt hinzugesetzt haben, nicht möglich, sie war kein  //63// vollendeter Zustand des Gemüts, die erste war ein leerer Gedanke, wir hätten die erste nicht einmal zum Behuf für unsere Philosophie denken können, wenn wir das, was wir jetzt deutlich einsehen, nicht eingemischt hätten.



§ 5 [Zusammenfassung]


Das Bestimmbare wird der Anschauung zu einem ins Unendliche teilbaren Mannigfaltigen, weil es Objekt einer freien Wahl für die absolute Freiheit sein soll; dem Bestimmten als einem Teile desselben muss dasselbe zukommen, und darin  sind sie beide gleich. Unterschieden sind sie darin, dass in dem ersten eine bloß als möglich, das ist, durch die zwischen Entgegengesetzten schwebende Intelligenz gesetzte, in dem zweiten eine durch die an eine bestimmte Folge des Mannigfaltigen geknüpfte Intelligenz gesetzte Handlung angeschaut wird. Handlung ist Tätigkeit, der unaufhörlich widerstanden wird, und nur diese Synthesis des Widerstandes ist es, durch die eine Tätigkeit anschaubar ist.


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