S. 81 - 90

Das Setzen meiner selbst liegt gewissen Dingen zu Grunde, ist mit ihnen vereinigt. Das Setzen meiner selbst bei der Anschauung ist ein Gefühl von mir selbst. Im Gefühl von mir selbst ist offenbar nicht anderes vorhanden, als auch ein Gefühl, ich fühle mich und fühle mich als beschränkt. Ich fühle //81// mich, und indem ich fühle, schaue ich nicht an und denke nicht, ich bin dann nur für mich in [dem] und durch das Gefühl.

Aus dieser Beschränktheit des Gefühls reiße ich mich los durch ideale Tätigkeit, aber das losreißende Ich ist das, was beschränkt ist. Auf die Weise, wie ich beschränkt bin für mich, muss ich auch das Losreißende sein für mich. Also das Selbstbewusstsein ist das C, in welchem beides aneinander gehalten wird. Nur durch das fort-dauernde Gefühl meiner selbst werden Gefühl und Anschauung synthetisch vereinigt.
Nota.
 - Das Selbstgefühl ist offenbar noch kein Selbstbewusstsein. Es wird weiterer Anschauung = idealer Tätigkeit bedürfen, um dahin zu kommen; aber es ist seine Bedingung. Das ist nicht psychologisch gemeint, etwa als Grundlage der Persönlichkeit. Sondern in transzendentalem Sinn ist Sinnlichkeit die genetische Voraussetzung der Vernunft.
JE

Das Anschauen als solches wird nicht gefühlt, sondern das Übergehen von der Beschränktheit zur Anschauung. Die Selbstbestimmung zur Anschauung, welche aus der Reflexion des Ich hervorgeht.
 
6) Was kann nun in der Anschauung vorkommen? Was ist in der Anschauung Materie? Es ist keine Anschauung möglich, ohne dass die praktische Tätigkeit beschränkt und von der idealen getrennt sei. Hier ist die praktische Tätigkeit aufgehoben, da aber zu dem Ich die praktische Tätigkeit mitgehört, so muss die ideale Tätigkeit sich auf ein Objekt beziehen.
 
Ich fühle in der Anschauung mich bloß tätig; das dem Anschauen Entgegengesetzte muss außer mir gesetzt werden und wird sonach zum NichtIch, zu einem nur Begrenzenden. Dass es ein NichtIch sei, sehen wir nur hier von dem philosophischen Gesichtspunkte, es ist bloß ein Begrenzendes. Das Ich ist nicht aus sich selbst herausgegangen. Meine eigene Beschränktheit ist es, welche angeschaut wird, aber sie wird nicht angeschaut als die Meinige, sie wird nicht auf mich bezogen. Ich bin das gefühlte Subjekt der Anschauung, und qualis talis (als solches) tätig. DieBeschränktheit ist das, wodurch die ideale Tätigkeit ideale Tätigkeit wird.
 
In der Anschauung bin ich nicht das Angeschaute, nicht das Objekt, sondern das Subjekt der Anschauung. Das Anschauen [ist], im Gegensatz mit dem Gefühl,  Tätigkeit. Mit dem Anschauen ist Selbstgefühl verknüpft. Im Anschauen fühle ich mich als tätig. Was ist nun das Objekt? Es ist nichts anderes als das Gefühl selbst, das Gefühl meiner Beschränktheit. Aber diese Beschränktheit wird nicht gesetzt als die meinige. Das Objekt wird gesetzt außer mir, NichtIch; es ist entge-//82//gengesetzt dem Ich, aber auf dieses Entgegengesetzte wird nicht gemerkt, es wird nicht auf mich bezogen.
 
Oben wurde gesagt: Gegebensein des Stoffs für das ganze Ich ist Unsinn. Dem Ich kann nichts gegeben wer- den, es hat kein Glied, an welches das Gegebene angeknüpft werden könnte.
 
Wenn es nuun doch etwas geben soll für das Ich, so müsste es außer der allgemeinen Sphäre, in die es sich verschließt, noch eine engere haben. Das Vermögen, für welches etwas da ist, ist die Intelligenz. Diese setzt sich hintennach besonders als Ich. Die ganze Welt ist in unserer allgemeinen Sphäre, man muss ich diese eine kleinere setzen; Wenn diese nun für das Ich angesehen wird, so gibt es etwas, was außer dem Ich ist. 

Eine solche engeere Sphäre wird nun hier nachgewiesen. In der Anschauung fühlt das Ich sich nur als tätig; das Leiden des Ich wird ausgeschlossen, und so wird ein Objekt möglich.
Nota.
   - Nie zu vergessen: Die Eingangsfrage war ja die: Wie kommen wir zu der Annahme, dass unseren Vorstellungen etwas außer uns entspricht? Das ist der Terminus ad quem. Terminus a quo ist: Im Bewusstsein ist nichts als Vorstellungen, oder: Ins Ich kommt nichts, als was es in sich setzt. Dieses muss aus jenem hergeleitet, jenes muss auf dieses hingeführt werden. Der Gang ist durch beide entgegengesetzte Prämissen vorgeschrieben, er ist lediglich aufzusuchen - allerdings nicht so, wie er aus Begriffen definiert, sondern wie er in der Vorstellung wirklich hervorgebracht werden könnte.
JE

Ich fühle mich beschränkt; von dieser Beschränktheit reiße ich mich los. Das Fühlen und das Losreißen vom Gefühl geschieht in demselben ungeteilten Moment. Die ideale Tätigkeit kann nicht beschränkt werden. Wenn nun die reale beschränkt wird, so bleibt die ideale allein übrig. Dieses isolierte Handeln ist Anschauen.
Nota.
 - Das Wollen - Streben, Trieb, Einbildungskraft - ist ursprünglich eines und dasselbe. Das Quantum Energie, das im Fühlen am Objekt hängenbleibt, werden wir ipso facto als reale Tätigkeit gezeichnen, den überschießenden freien Teil nennen wir die ideale. (Wenn sie sich reflektierend selber dem Gefühl zuwendet, geschieht dies aus Freiheit.) 
JE

Durch dieses Anschauen wird mein Zustand verändert. Ich werde frei und tätig, da ich im Gefühle leidend bin. Da alles Leiden aber doch bleibt, so wird es ein Objekt. Änderung in diesem Etwas muss sich bloß aus meiner Freiheit in der Anschauung erklären lassen.

Gefühl und Anschauung sind in demselben Momente und Zustand synthetisch vereinigt; dies ist ohne das andere nicht. Was Objekt des Gefühls ist, ist dasselbe, was es in der Anschauung ist auf dem philosophischen Gesichtspunkt; aber für das Ich ist es zweierlei, weil das Ich verschieden betrachtet wird. Einmal ist das Ich leidend, und dann ist es Gefühl der Beschräntheit; einmal ist es tätig, dann ist das Gefühlte Objekt. Kurz, die Anschauung ist das Gefühlte, nur bleibt es als Objekt der Anschauung kein Gefühltes, sondern ein Angeschautes, Gesehenes, nicht auf das Ich bezogen. Im Bewusstsein erst wird es wieder auf das Ich bezogen.

//83// So lässt sich auch erklären die synthetische Vereinigung der aus dem Gefühl genommenen Prädikate mit den Prädikaten, die aus der Anschauung genommen sind, welche außerdem sich nicht erklären ließen. Ich schmecke etwas Süßes und setze ein Stück Zucker; nun sage ich: Der Zucker ist süße. Hier wird das Gefühl auf einen Gegenstand der Anschauung übertragen, und beide werden in demselben Moment vereinig. 


Das Ich wird bloß gefühlt in dieser Lage, nicht aber angeschaut. Es kommt also kein Anschauen als solches im Bewusstsein vor. Das Ich verliert sich selbst im Objekte der Anschauung. Oder, wie Kant sagt: Die Anschauung ist blind. Sonach in der Anschauung schwebt mir etwas unmittelbar vor. Ich frage nicht, woher es komme, das Objekt ist einmal da und ist schlechthin da. Dem Anschauen wird es so; nun kommt das Anschauen nicht zum Bewusstsein, mithin ist das Objekt auf dem gemeinen Gesichspunkte unmittelbar da. So kommt das Objekt unmittelbar im Bewusstsein vor. Eine Philosophie, die das leugnet, ist grundlos.  
 
Eigentlich kommen wir zum Objekte so: Es ist in uns ein Gefühl vorhanden, wir sind begrenzt; aus der Begrenztheit schließen wir auf ein Begrenzendes außer uns. Aber dies ganze Verfahren ist unmittelbar.

Nota.
 - Die Wissenschaftslehre schaut dem gemeinen Bewusstsein zu und beschreibt, wie es tatsächlich verfährt; allerdings nicht in Zeit und Raum, sondern in einem idealen Modell, wo alles zugleich geschieht, wenn auch Eines als genetisch bedingt durch das Andere. Es ist daher ganz in der Ordnung, wenn uns die eine oder andere Etappe in dieser Darstellung aus unserer eigenen Erfahrung bekannt vorkommt - sobald wir nämlich Raum und Zeit wieder hinzudenken.
An dieser Stelle erinnern wir uns an das, was Schiller den "ästhetischen Zustand" nannte: Im ästhetischen Zustand sei der Mensch "gleich Null". Die ästhetischen Qualitäten, die wir wahrnehmen, sind unmittelbar im 'Gefühl' - soweit die 'reale' Tätigkeit, die sich hier 'begrenzt' vorkommt. Hinzu tritt die 'ideale' Tätigkeit, die das Gefühl anschaut; doch an der Stelle hält sie inne - aus Freiheit: Die ideale Tätigkeit hält sich selbst zurück, mit andern Worten: der ästhetische Zustand tritt nur ein, wenn er beabsichtigt wird.
Doch im Normalfall unserer tätglichen Geschäfte fährt die ideale Tätigkeit fort.
JE

Ich finde mich beschränkt im Gefühle, aber ich kann nicht fühlen, ohne anzuschauen, und unmittelbar für die Anschauung ist das Objekt da. Hinterher kommen dergleichen Bestimmungen vor, dass das Objekt betrachtet wird als etwas auf uns Einfließendes; aber diese Bestimmungen kommen erst vor, wenn das Objekt schon da ist. 

Das Etwas, welches dem Anschauenden vorschwebt, ist hier weder Bild noch Dinge, es ist ohne alle Beziehung auf uns. Weder Bild noch Dinge, sondern beides, es wird nachher in beide geschieden, es ist der Urstoff für beide, das unbegreifliche Etws ohne Beziehung auf uns. Auch im gemeinen Bewusstsein behaupten wir, dass die Dinge unmittelbar da sind. 

Wir können hier die Anschauung noch nicht weiter charakterisieren, als dass sie sei etwas dem Ich Vorschwebendes und insofern NichtIch, wenn es nämlich auf das Anschauende bezogen werden könnte, nicht aber auf das ganze Ich, dass sie sei //84// etwas positiv Haltendes, dass ihr der Charakter des Seins zukomme, indem sie die gesamte Tätigkeit des Ich zur idealen macht.

Das Objekt wird nicht gefühlt, es ist bloß, indem ich anschauend bin, und im Anschauen fühle ich mich.
Nota.
- Da fällt mir zweierlei ein: zuerst Schillers ästhetischer Zustand, und dann, dass seit Plato das Staunen als Anfang der Philosophie gilt.
JE

7) Unsere Aufgabe ist: wie ist der Zweckbegriff möglich oder eine Anschauung, die für den Zweckbegriff wenigstens den Stoff hergebe. Die bisher erklärte Anschauung kann keine andere sein als die eines wirklichen Objekts, denn sie gründet sich auf ein Gefühl der Beschränktheit. Wie könnte nun die eines Möglichen der ersteren entgegengesetzt sein, mit was im Gefühle könnte eine solche Anschauung zusammenhängen? 

Ich kann mich nicht begrenzt fühlen, ohne mich zugleich strebend zu fühlen, denn das Streben ist ja das Begrenzte. Also das Gefühl eines Strebens, eines Dranges müsste da sein. Sonach ist das Gefühl der Begrenztheit bedingt durch das Gefühl eines Strebens, beides zusammen macht erst ein vollständiges Gefühl aus. Hierdurch erhalten wir ursprünglich eine in der Sache gegründete Verbindung Verschiedener im Ich. Woraus leicht aus einem, dem Begrenzten, das Theoretische und aus dem andern, dem Streben, das Praktische hervorginge. Da sie gleich ursprünglich verbunden sind, so werden sie in der Folge nicht zu trennen sein, und so wird der tiefste Grund gelegt: Keine Theorie ohne Praxis.
Nota. 
- In einer logischen Konstruktion aus Begriffen müsste das Streben nachträglich in die Darstellung eingeschoben werden, wie beim Taschenspielertrick. Das wäre das dogmatische Verfahren. Es wird aber genetisch das Hervorgehen dieser Vorstellung aus jener vorangegangenen hergeleitet - indem gezeigt wird, dass das neu genannte Moment - das Streben - in der Vorstellung von vornherein vorhanden war und bloß nicht darauf geachtet wurde. Nicht die Vorstellung wird aus tausenderlei Elementen zusammengesetzt, sondern die ganze Vorstellung wird analytisch-reflektierend in ihre mannigfaltigen Momente auseinandergelegt. Das ist das dialektische Verfahren.
JE 

Das Objekt der vorbeschriebnen Anschauung ist ein Begrenzendes, ein Seiendes, aber durch ein Sein wird ein anderes verneint. Ein Begrenzendes nicht ohne Begrenzung, ein Sein nicht ohne etwas, das durch das Sein aufgehoben wird.

Der eigentliche Charakter der Anschauung kann nicht aufgehoben werden; wir haben aber einen Hang, ihn aufzuheben, weil im gemeinen Bewusstsein nie Anschauung, sondern immer Begriffe vorkommen.

Das, was durch das Sein des Objekts aufgehoben wird, ist nicht Tätigkeit des Ich. In der Anschauung wird kein Ich gesetzt; das Ich verschwindet im Objekte. Die Anschauung geht auf das Objekt, das, was durch das Seiende ausgeschlossen wird, ist auch ein Objekt, es ist das Ideal als solches Objekt der Anschauung.
 
Das Objekt der erstbeschriebnen Anschauung ist ein Begrenzendes, Begrenztheit des Ich, aber qualis talis kann sie nicht gesetzt werden, das Ich kommt nicht in der Anschauung vor. Es ist also etwas der Anschauung Vorschwebendes, ein bloßes Objekt ohne Subjekt. Diesem soll etwas entgegengesetzt werden, welches dasselbe negiert, dies ist also Objekt in der höchsten Bedeutung; etwas, worauf die ideale Tätigkeit sich bezieht, das aber nichts ist, woraus das Streben erklärt werden soll. Dies ist das Ideal.
Nota I.
 - Im gemeinen Bewusstsein kommen nur Begriffe vor, nicht aber die Anschauungen, die ihnen zu Grunde liegen. Das ist nun das primäre Spezifikum der Wissenschaftslehre: dass sie auf die Anschauung geht und nicht auf die Begriffe. Das macht das grundlegend Kritische daran aus. 
Doch das gemeine Denken bestimmt bis heute die Schulphilosophie. Wo über Fichte geschrieben wird, geschieht es - sei es zustimmend, sei es ablehnend - so, als habe er seine Philosophie aus Begriffen konstruiert und als dürfe man ihn mit einem Kant oder Hegel vergleichen. Es ist gut, dass er an dieser Stelle den Unterschied deutlich ausspricht, aber viel nützen wird es nicht.
Nota II.
- Ein sachlich Neues ist in diesem Absatz die Idee eines absoluten Objekts der Anschauung, auf das die ideale Tätigkeit abzielt, das sie aber nicht begründet; nicht begründen muss, weil sie in der Freiheit schon immer selbstbegründet ist. Die Freiheit gibt die Kraft, die Richtung weist das Absolute - das Wahre, Unbedingte, Zweck der Zwecke.
JE

8. Welches ist nun der Unterschied beider Objekte, dessen, wodurch die Begrenzung, und dessen, wodurch das Streben erklärt wird? Gleich sind sie darin, dass beide Objekte der Anschauung sind; unterschieden sind sie darin, dass ersteres ein Bestimmtes, dass die ideale Tätigkeit in Verbindung des Mannigfaltigen darin gebunden ist; das letztere aber ein Bestimmbares und die ideale Tätigkeit in Verbindung des Mannigfaltigen völlig frei ist. Das erste ist nur eine Aufgabe, etwas, und zwar ein anderes, dem ersten Entgegengesetztes, zu setzen, weil durch das erste das Ich beschränkt ist. Die Gebundenheit, in wiefern sie der idealen Tätigkeit zukommt, ist in beiden gleich.

Man denke, dass, wenn auch unentschieden bleiben muss, ob das Gefühl der Begrenzung ein einfaches ist, oder ob mehrere vereinigt werden können, doch aus dem Obigen klar ist, dass jedes Gefühl der Intension nach teilbar ist, dass alles, was die Anschauung hineinlegt, gleichsam teilbar ist ins Unendliche - dass aber im ersten Falle, bei der Anschauung des Bestimmten, die Teilung nicht möglich ist, weil da die Anschauung auf ein Gegebenes geht; im zweiten Falle hingegen eine solche Teilung möglich ist und als solche im Gegensatz der ersten gesetzt werden muss. Im zweiten Falle ist eine Aufgabe, etwas bloß zu setzen, denn es ist kein Inhalt des Gefühls gegeben, es wird ein Gefühl gesucht. Wie dies gefunden werden kann, vide infra. 

Diese Anschauung ist leer, sie ist ein freies Schweben über dem Mannigfaltigen, welches das Ich nicht weiter kennt als //86// durch sein Schweben, es ist die Anschauung von einer Aufgabe, ein Objekt zu setzen. 

Der Begriff des Ideals ist eine Idee. Sie ist ein Begriff von etws, das gar nicht begriffen werden kann, z. B. der Begriff von der Unendlichkeit des Raumes. Dies scheint ein Widerspruch zu sein, welcher so gelöst wird: Vom Objekte ist kein Begriff möglich, aber von der Regel, nach welcher er durch ein Fortschreiten hervorgebracht werden müsst, z. B. der unendliche Raum; jeder Raum, der aufgefasst wird, ist endlich, wir geben daher nur Acht, wie wir es machen würden, wenn wir den unendlichen Raum auffassen wollten. Man denke sich die Regel weg, so bleibt das Suchen übrig, und das ist das Objekt der Anschauung, von dem hier geredet wird. 
Nota.
 - Der unendliche Raum wird so konstruiert, dass an den je gegebenen endlichen Raum jedesmal wieder ein endlicher Raum angefügt wird. Das absolute Objekt des Strebens wird so konstruiert, dass zu jedem gegebenen Objekt der freien Wahl wieder ein nächstes Objekt der freien Wahl hinzugefügt wird. Die Idee des Endzwecks wäre also der Inbegriff aller möglichen Zweckbegriffe, die indes unendlich viele und als solche nicht bestimmbar sind. Real ist, was anschaubar ist, die Realität des Absoluten ist die Suche danach.
JE
9) Wir haben jetzt die beiden Anschauungen entgegengesetzt, wir, die wir philosophieren. Aber nun entsteht die Frage, wie das ursprüngliche Ich die Sache denken kann? Wie werden diese beiden Anschauungen durch das Ich entgegengesetzt? Im Anschauen fühlt das Ich sich bloß (vide supra). Die Anschauung geht aufs bloße Objekt. In der Anschauung des Beschränkenden fühlt das Ich sich beschränkt, in der Anschauung des Idealen fühlt das Ich sich frei. 
 
Beschränkt ist die ideale Tätigkeit immer darin, dass sie ein Objekt hat, doch ist sie ohnerachtet ihrer Beschränktheit Tätigkeit, inneres Bilden, ein Machen in sich, ein innerliches Sich-Anschauen. Im ersten Fall ist sie beschränkt in Absicht des zu entwerfenden Begriffs, im zweiten Fall ist sie ganz frei, es ist kein Objekt, keine Regel gegeben, sondern nur ein Aufgabe. So fühlt das Ich sich in der Anschauung teils beschränkt, teils frei. 
 
Aber das Ich kann sich nicht beschränkt fühlen, ohne sich auch frei zu fühlen et vice versa. Diese beiden Zustände sind nur wechselseitig durch einander bestimmbar. Beide Gefühle können nicht von einander getrennt sein. Beide Anschauungen, die des bestimmten Objekts und die des Ideals, sind notwendig mit einander vereinigt; es ist die eine ohne die andre nicht möglich.

Nota. 
- Das ist aufschlussreich für die ästhetische Betrachtung: Sie ist eine Anschauung, in der das Ich sich 'im Objekt verliert', ohne sich doch 'begrenzt' zu fühlen, denn das Gefühl der Begrenzung erwächst durch das 'Streben', im Bestimmen fortzufahren: nämlich vom Objekt einen Zweckbegriff zu entwerfen. In der ästhetischen Betrachtung jedoch weigert sich das Ich, Zweck oder Begriff zu entwerfen, und besteht darauf, das Objekt 'frei' anzuschauen, als ob es ein Ideal wäre. 
- Es versteht sich, dass das keine ursprünglich Handlung des Ich sein kann, sondern erst möglich wird, wenn das (vernünftige) Bewusstsein schon ausgebildet ist. Es ist im Bildungsgang 'des Menschen' eine späte Erscheinung.
JE
 
Wir haben als Grundzustand abgeleitet ein Gefühl, an welches alles übrige geknüpft wird. Das Gefühl ist das erste un-//87//mittelbare Objekt unsrer Reflexion. Das Ich fühlt sich, und zwar ganz. Aber das Ich ist, wie wir wissen, praktisch und ideal, welches beides jetzt erst geteilt wird vermittelst des Gefühls. Das Ich fühlt sich zuvörderst praktisch, dies ist eigentlich das unmittelbare Gefühl, in welchem Gefühl der Beschränktheit und des Strebens vereinigt ist. 
 
Aber das Ich fühlt sich ganz, also auch ideal und insofern anschauend, in welcher Anschauung nun abermals Beschränktheit und Streben vereinigt sein muss. Sonach finden sich da abermals vier Stücke: Gefühl der Beschränktheit, Gefühl des Strebens, Anschauung des bestimmten Objekts, Anschauung des Ideals. Diese vier Stück sind notwendig vereinigt, eins kann ohne das andere nicht sein.
In der Zukunft werden wir sehen, dass noch mehr hinzu kommen muss.
Nota. 
- Zuerst ist da ein Gefühl, und weil das Ich strebend ist, ist es zugleich ein Gefühl der Beschränktheit und eins der Freiheit. Erst durch das Gefühl teilt sich das Ich in eine 'reale', praktische Tätigkeit und eine ideale Tätigkeit: Anschauung. Die Anschauung der praktischen Tätigkeit wird zur Anschauung eines je bestimmten Objekts, die Anschauung der idealen Tätigkeit (=der Anschauung) wird zur Anschauung der Idee, d. h. eines Suchens.
JE

§ 7 [Zusammenfassung]
 
Mit dem Gefühle ist eine Anschauung notwendig verbunden, denn das Gefühl ist Begrenztheit; aber eine Be- grenztheit ist nichts ohne Gegensatz der Tätigkeit; aber dasjenige im Ich, was notwendige Tätigkeit bleibt, ist sein ideales Vermögen. Der Vereinigungspunkt des Gefühls und der Anschauung ist der, dass das Ich sich, indem es in realer Rücksicht sich begrenzt fühlt, sich in idealer anschauend fühlt. 
 
In wiefern die Anschauung auf die Begrenztheit geht - welche Begrenztheit dadurch, dass die Anschauung auf sie geht, bloßes Objekt ohne alle Beziehung auf ein Subjekt wird -, wird sie gefühlt als gebunden in der Darstellung des Objekts; aber ein solches Gefühl ist nicht möglich ohne ein entgegengesetztes der Freiheit. Die Anschauung wird sonach auch in anderer Rücksicht als frei gefühlt und ist in sofern Anschauung des Ideals.
Nota. 
- Das 'Wesen' des Ich ist Tätigkeit, Wollen, Streben, Trieb - nämlich Einbildungskraft; aber dies alles gedacht als an-sich-seiend. Real wird es im Moment, da es auf einen Widerstand stößt, es 'reißt sich zusammen' zum reellen Einbilden eines Objekts - "Darstellung", sagt F. an dieser Stelle; eine hilfreiche Erläuterung. (Aus dem Kreis des 'bloßen Vorstellens' treten wir nirgends heraus.)
JE
 
§ 8
 
Im vorigen Paragraphen ist die Anschauung als notwendig und die Gründe dieser Notwendigkeit aufgezeigt. Aber im Anschauen verliert sich das Ich im Objekte, wie ist also noch ein //88// Begriff von einem freien Handelns möglich, oder wie ist das Ich für sich selbst möglich? Wir müssen also jetzt noch das Ich aufsuchen oder zeigen, wie die Anschauung auf das Ich muss bezogen werden, wie das Ich für sich da sein müsse. 

1) Es gibt nach dem Obigen ein Mannigfaltiges des Gefühls, aber ein Gefühl ist eine bestimmte Beschränktheit, und es ist unmöglich, dass das Ich sich in derselben Rücksich als beschränkt fühle und sich auch nicht auf diese Weise beschränkt fühle; was allerdings sein würde, wenn in derselben Rücksicht ein Mannigfaltiges des Gefühls sein sollte. Das Ich wäre auf diese Art beschränkt und nicht beschränkt, das Ich wäre sich selbst entgegengesetzt; es bliebe keine Realität (Stoffheit). Sonach lässt sich ein solches Mannigfaltiges nur denken durch Veränderung des Zustands des Fühlenden. (Das Mannigfaltige darf kein simultanes, sondern muss ein sukzessives sein; dies wird erst deutlich, wenn die Zeit deduziert ist.)

Wie soll denn nun eine Veränderung der Zustands des Fühlenden möglich sein? Unsere bisherige Ansicht ist: Das Ich ist ursprünglich in gewisse Schranken eingeschlossen; daraus geht für das Ich hervor eine Welt. Das Ich kann mit absoluter Freiheit diese Schranken erweitern, dadurch verändert es seinen Zustand und damit auch seine Welt. Aber die Möglichkeit dieser Selbstbestimmung durch Freiheit ist noch nicht deduziert. Folglich kann hier die Rede davon noch nicht sein.

Verändert sich etwa der Zustand unserer Beschränktheit und die ihm korrespondierende Welt von selbst? Dies ist nicht zu erwarten, denn es gehört zum Charakter der Welt, dass sie nur ist, nicht wird, sie fängt keine Handlung an. Die Sache müsste so sein, dass schon in unserer Natur, in unserer Bestimmtheit ein Prinzip der Veränderung läge, so wie dies bei den Pflanzen und Tieren der Fall ist. - Tiefer unten wird sich so etwas finden. - Es verhalte sich wie es wolle, so darf ich hier diesem Postulate der Veränderung nur hypothetische Gültigkeit zuschreiben. Sollte sich aber zeigen, dass nur allein durch eine solche Annahme, und ohne sie nicht, das Bewusstsein erklärt werden könnte, dann hätte ich das Recht, sie kategorisch zu postulieren.
Nota I.
- 'Zum Charakter der Welt gehört, dass sie nur ist, nicht wird': Das wäre absurd, wenn von der Welt die Rede wäre, 'wie sie wirklich ist'. Hier ist aber die Rede davon, wie sie erstmals in der Vorstellung vorkommt, und zwar nicht die Welt in concreto, sondern eine 'Welt überhaupt'. Die setzt sich das Bewusstsein allerdings als schlechthin daseiend voraus.
Nota II.
- [Gewiss wird sich das Ich seiner schließlich bewusst werden, indem es sich in seiner Vorstellung sich selbst 'entgegensetzt'. Aber wie kommt es dazu? Durch die Veränderlichkeit seines Zustands im Gefühl, die ist Bedingung.]
JE

2) Es entsteht also eine Veränderung des Zustandes des Ich. //89// Es sind sonach vorhanden zwei Gefühle A und B (bloße Gefühle der Beschränktheit). Was nach dem vorigen Paragraphen aus dem Gefühle überhaupt, und hier aus dem Gefühle A erfolgt, das muss auch in dem Gefühle B erfolgen. Da aber die Gefühle A und B verschieden sind, so muss auch alles, was aus ihnen erfolgt, verschieden sein. Dies eröffnet uns eine wichtige Aussicht, welche sich uns über das Innere des menschlichen Geistes mehr verbreitet. [sic]

Vorderhand ists uns um die Vereinigung dieser verschiedenen Gefühle im Bewusstsein zu tun. Dies wird uns weiter führen.

Oben - Paragraph 6 - hatten wir eine ähnliche Frage aufgeworfen: wie das Mannigfaltige der Gefühle auf ein- ander bezogen und unterschieden werden könne. Dies hat die materiale Schwierigkeit gelöst, aber nicht die formale: Worin werden denn die zwei Zustände vereinigt? Wenn ich sage: das Gefühl A, beziehe ich [es] auf meinen ganzen Zustand; so z. B.: Mein Zustand ist in A und B ganz, nur dass jetzt ein A, dann ein B abgerechnet ist - dann habe ich einen Faden, woran ich A und B festhalte; aber woran halte ich diesen Faden fest? Wir haben ein Was, aber kein Wie, das diesen Zustand festhält.
Nota I.
- Es soll eine Synthesis erfolgen; dass sie wirklich geschieht - und also möglich war -, wissen wir, denn das ist unser Aussgangspunkt. Worin sie besteht, wissen wir jetzt auch. Aber wir wissen nicht, wie sie geschieht = wodurch sie möglich wurde.
Nota II.
Die Wissenschaftslehre soll nicht sein, wie Hegels Phänomenologie des Geistes, eine reale Entwicklungsgeschichte des Bewusstseins oder der Vernunft; sondern ein abstraktes Modell der Bedingungen ihrer Möglichkeit. Die müssen sämtlich im selben Momet da sei, wenn vernünftiges Bewusstsein werden soll.
Wie aber individuelles Bewusstsein in der Zeit wirklich entsteht, ist eine Frage an die empirische Forschung. Die Wissenschaft, die sich damit befasst, ist die Psychologie.
JE

3. Man sehe die Vereinigung an als die Vereinigung der entgegengesetzten Gefühle A und B oder als [sic] entgegengesetzter Zustände an. Das ganze System der Sensibilität kann nicht gefühlt werden, denn sie [sic] ist nichts Positives, sondern lediglich ein Verhältnis. Aber schon oben haben wir gefunden, dass die Tätigkeit des Ich nur angeschaut werden kann als ein Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten. Man kann daher auch sagen, in Absicht des Ich ist nichts anschaubar als das Übergehen. Also jenes Übergehen, das nicht gefühlt werden kann, da es nichts Positives ist, müsste etwa amgeschut werden. Wir wissen aber noch nicht, wie oder ob eine solche Anschauung möglich sei. Wir wissen nur, dass sie nicht gefühlt werden könne. Doch aber muss, wenn ein Übergng da sein soll, dieser für das Ich da sein. 

Wir wollen vorläufig die Angabe [sic] genauer bestimmen. Es war oben und hier wieder die Rede von einem System der Sensi-//90//bilität überhaupt. Was ist nun dies? Die Gefühle selbst sind es nicht, denn sie sollen ja von ihm unterschieden und für das Ich erst möglich werden durch den Unterschied von und die Beziehung auf das System. Dieses System wäre also die Veränderlichkeit oder Affektibilität des Ich, und zwar als System, als etwas Erschöpftes, Ganzes, die ideale Tätigkeit Bindendes; die Summe der möglichen Veränderungen der Form nach, abstrahiert von allem Gehalte (das wird werden unser Leib als das System der Affektibilität und Spontaneität; von der ersteren ist hier nur die Rede).
Nota.
- Hier liegen offenbar mehrere Schreibfehler vor. In der ersten Zeile soll von der Vereinigung entgegengesetzter Zustände geredet werden. Im folgenden Satz ist es nichts Positives, denn nicht die Sensibilität, sondern das System ist gemeint. Und in der ersten Zeile des zweiten Absatzes soll wohl eine Aufgabe genauer bestimmt werden. 
Bis hier waren die Gefühle eine Mannigfaltigkeit von Singularia, denen nur die Art und Weise, wie sie das Ich affizieren, gemeinsam war. Ihre Herkunft war ganz unklar, sie mochten vom Himmel gefallen sein. Abgeleitet waren sie nicht, aber real in jedem Fall. Ihre Herkunft muss ihrerseits 'hergeleitet' werden, nämlich re-konstruiert aus dem Faktum des Gefühls. 
Fichte leitet nicht aus einer vorausgesetzten Dualität von Geist und Leib einen Gegensatz von Fühlen und Denken ab, sondern leitet umgekehrt vom Platz des Gefühls in der Genesis des Bewusstseins den Leib her. Eine Dualität wird sich so voraussichtlich am Schluss nicht einstellen müssen.
JE




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