S. 11 - 20.


Dann sollen noch ausdrücklich und gründlich abgehandelt werden die Reflexionsgesetze in Vereinigung und Verbindung mit dem, was daraus entsteht. (Dieses Versprechen konnte wegen Mangel an Zeit nicht erfüllt werden.) Reflektieren heißt seine ideale Tätigkeit auf etwas richten; dies geschieht nur  //11// nach gewissen Gesetzen, und dadurch wird das Objekt der Reflexion so und nicht anders.

Dozent leitet in seinen Vorlesungen ein bestimmtes Denken, und wer nicht mitdenkt, der erhält nichts; nur der, der mitdenkt, kann Nutzen haben. Für die, die nicht selbst mitdenken, möchte er seinen Vortrag in Arabisch machen.
Nota.
Die Erste Einleitung hatte F. öffentlich vorgetragen, um Hörer zum Philosophieren erst noch anzuregen. Die zweite Einleitung richtete sich daher an jene, die sich zum Philosophieren schon entschlossen hatten. Sie ist klarer und bestimmter als die erste.
 Klarer und bestimmter ist hier, dass er nicht nach der Rechtfertigung unserer Glaubens an eine gegenständliche Welt fragt, sondern sie voraussetzt: Unter unseren Vorstellungen ist er eine notwendige. Und zwar ist notwendig die Verknüpfung. Wer nie ganz sicher war, was Kant mit einem Urteil a priori gemeint haben könnte, dem springt es hier ins Auge: Es ist die notwendige, 'in der Sache selbst begründete' Verknüpfung zweier Vorstellungen; soll eine von ihnen sein, muss auch die andere sein.
 JE

Zweite Einleitung

§ 1.

In diesen Vorlesungen sollen die ersten und tiefsten Fundamente der Philosophie vorgetragen werden.
Philosophie ist nicht eine Sammlung von Sätzen, die so gelernt werden, sondern sie ist eine gewisse Ansicht der Dinge, eine besondere Denkart, die man in sich hervorbringen muss. Wer noch nicht richtig angeben kann, wovon in der Philosophie die Rede ist, der hat noch keinen rechten Begriff von Philosophie.

Es ist, wie Kant sagt, ein Vorteil für eine Wissenschaft, wenn man das, was sie zu leisten hat, auf eine Formel bringt. Kant bringt das, was die Philosophie zu leisten hat, auf die Aufgabe zurück: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" Dozent drückt die Frage so aus: Wie kommen wir dazu, anzunehmen, dass den Vorstellungen in uns etwas außer uns entspreche? Beide Fragen heißen dasselbe.

Ich bin mir bewusst von der Vorstellung von irgend etwas, das weiß ich. Nun behaupte ich: dieser Vorstellung entspricht ein Ding, das da sein würde, wenn ich auch die Vorstellung davon nicht hätte. Nun ist aber der Zusammenhang zwischen der Vorstellung und dem Dinge auch nur eine Vorstellung auch in mir [sic]. Nun aber behaupten wir nicht nur, dass wir Vorstellungen haben, sondern dass diesen Vorstellungen auch Dinge außer uns entsprächen. Sonach wäre die Vorstellung von dem Zusammenhange beider eine notwendige Vorstel-//12//lung. Also geht schon hier eine Verknüpfung vor; ob wir uns schon der Handlung des Verknüpfens nicht bewusst sind, so ist es doch notwendig. Dies Verfahren nämlich, dass ich von der Vorstellung zu der Vorstellung übergehe, dass Dinge wirklich existierend da seien, ist notwendig; alle Vernunftwesen verfahren so.

Also gibt es in den denkenden Wesen notwendige Vorstellungen. Die Philosophie fragt nun nach dem Grunde dieser notwendigen Vorstellungen in der Intelligenz.

§ 2.

Nicht die Philosophie, sondern die Aufgabe, die Tendenz zur Philosophie geht aus von dem facto, dass wir Bewusstsein haben. Unter den Bestimmungen und Zuständen unseres Bewusstseins, die wir Vorstellungen nennen, sind einige begleitet vom Gefühle der Notwendigkeit, andre hingegen hängen bloß von unserer Willkür ab.       

1) An diesem factum zweifelt niemand; es kann keine Frage darüber entstehen, und wer da nach Beweisen fragt, der weiß nicht, was er will. (Thiedemann in seinem Theätet will beweisen, dass er Vorstellungen habe.)

2. Bemerke man wohl, wie diese Tatsache gestellt ist; es ist behauptet worden, es gibt Vorstellungen mit dem Gefühle der Notwendigkeit begleitet, dass ihnen Dinge entsprechen; nicht, dass Dinge sind. 

3. An dieses unbezweifelt gewisse Faktum wird etwas anderes angeknüpft, nämlich die Idee des Grundes. Nämlich der Philosoph fragt: Welches ist der Grund der in mir mit dem Gefühle der Notwendigkeit vorkommenden Vorstellungen? Dass es einen Grund gebe, wird als ausgemacht angenommen, die Frage ist nur: Welches ist dieser Grund?

Schon in der Aufgabe für die gesamte Philosophie ist eine Synthesis. Es wird schon aus dem Faktum herausgegangen zum Grunde; wie komme ich nun dazu, aus dem Faktum zu dem Grunde herauszugehen? Diese Frage ist wichtig; denn solche Fragen aufzuwerfen und zu beantworten heißt philosophieren, und da diese Frage der Philosophie zu Grunde liegt, würde //13// diese Frage beantworten heißen: über die Philosophie philosophieren. Die Frage nach der Möglichkeit der Philosophie fällt sonach selbst in die Philosophie hinein. Die Philosophie beantwortet die Frage nach ihrer eignen Möglichkeit. Sonach lässt sich die Möglichkeit der Philosophie nur in einem Zirkel beweisen, oder sie bedarf keines Beweises und ist schlechthin und absolut möglich.
Nota.
- Die Philosophie beginnt 'synthetisch'. Als lediglich analytisch mag man das 'gemeine' Normalbewusstsein auffassen, es sieht etwas und fragt nur was? und allenfalls wie? Die Frage warum? dagegen setzt voraus, dass etwas 'da' sein könnte, das man nicht sieht; besser gesagt, um sie stellen zu können, muss man es selbst voraus-gesetzt haben. Doch wie käme man dazu?
JE


Wir haben jetzt die Frage zu beantworten: Wie kommt man zu obiger Frage? Und was tut man, indem man diese Frage nur streift? Die Frage nach dem Grunde gehört selbst zu den notwendigen Vorstellungen.

Man sucht nur den Grund von zufälligen Dingen. Die Philosophie überhaupt sucht den Grund von notwendigen Vorstellungen; diese müssen also als zufällig gedacht werden. 

Es wäre Unsinn, nach dem Grund eines Dinges zu fragen, das ich nicht für zufällig hielte. Ich halte etwas für zufällig heißt: Ich könnte denken, dass es gar nicht oder dass es ganz anders wäre. So sind die Vorstellungen vom ganzen Weltsystem; wir denken uns die Erde füglich als anders sein könnend, und uns selbst können wir auf einen andren Planeten versetzt denken. Ob wir ohne solche Vorstellungen sein könnten, belehrt uns die Philosophie; aber dass wir das Weltsystem für zufällig halten, ist gewiss, denn nur darum können wir nach einem Grund fragen.

Dieses Faktum enthält die ganze Erfahrung; aus dieser geht man heraus, mithin auch aus der gesamten Erfahrung heraus, und dies ist Philosophie und nichts anderes.
Nota.
Der gesunde Menschenverstand sieht das ganz anders. Was zufällig geschieht, scheint ihm nicht hinreichend begründet, und was hinreichend begründet ist, kann eigentlich gar nicht anders sein. - Doch der gesunde Menschenverstand ist ein Metaphysiker, für ihn sind logische Gründe und reelle Ursachen dasselbe. Aber notwendig ist nur das Logische, alles Faktische ist nur mehr oder minder wahrscheinlich, und also mehr oder minder kontingent. Für das metaphysische Denken sind indessen beides 'Kräfte' aus einem 'Stoff', denen ein und dieselbe Substanz 'zu Grunde liegt'Und die stellen sie sich unweigerlich als einen Schöpfer vor - der selber aber 'ganz anders' hätte schöpfen können!
Die kritische Philosophie macht es möglich und recht eigentlich notwendig, sich das bloß Seiende, das lediglich ist, weil es ist, als einen Zufall vorzustellen. Erst dann kann und muss man immer fragen: warum? Und keine Antwort kann je die letzte sein, man muss immer weiter fragen: warum nun aber dies? Einen Anfang wird man nie finden, man müsste ihn schon postulieren. Doch auch nur die Kritische Philosophie erlaubt, einen Akt der Freiheit zu denken.
 JE

Der Grund liegt nicht innerhalb des Begründeten, mithin außerhalb der Erfahrung, und die Philosophie, die den Grund der Erfahrung aufstellt, erhebt sich über dieselbe. Physik ist der Umkreis der Erfahrung; die Philosophie, die sich drüber erhebt, ist also Metaphysik. In der Philosophie kommt kein Faktum, keine Erfahrung vor. Dieser Satz findet in der neueren Zeit Widerspruch, wo man von Philosophie aus Tatsachen spricht. Die Philosophie und alles, was in ihr vorkommt, ist Produkt des reinen Denkvermögens; sie ist nicht selbst Faktum, sondern sie soll das Faktum, die Erfahrung, begründen.

//14// Wenn die Philosophen, die sich auf Tatsachen berufen, Kantianer sein wollen, so ist dies doppelt schlimm, denn Kant sagt: "er frage nach der Möglichkeit der Erfahrung".* Wenn ich aber nach der Möglichkeit einer Sache frage, so ist mir zwar die Sache bekannt, aber der Grund der Möglichkeit dieser Sache liegt außerhalb der Sache selbst. Also schon in Kants Buchstaben liegt, dass die Philosophie sich über die Erfahrung erheben soll.

Die Frage, wie man dazu komme, sich über die Erfahrung zur Philosophie zu erheben, nahm das ganze Recht zu philosophieren, d. h. das ganze Verstehen der Vernunft in Anspruch, zufolge dessen man von dem Zufälligen einen Grund suchen muss. In der Philosophie soll gezeigt werden, wie man dazu komme, mithin ist sie ein Selbstbegründen.

Also die erste und höchste Bedingung alles Philosophierens ist ist, zu bedenken, dass man das lautere leere Nichts antreffe, wenn man nicht alles das, worüber räsonniert wird, aus sich selber hervorbringt. Philosophische Ideen können nur im Geiste erzeugt werden, geben kann man sie nicht.
*) z. B. KrV, B 195
Nota.
Wenn aber Begriffe ohne Anschauung blind sind und der Grund der Erfahrung begriffen werden soll, so muss der Grund der Erfahrung angeschaut werden; in einer Anschauung also, die selber nicht Erfahrung, nämlich nicht sinnlich ist. Bleibt wohl nur eine intellektuelle Anschauung übrig.
 JE
§ 3.

Der Dogmatiker nimmt Dinge an sich an, diese und ihre Existenz postuliert er, denn sie liegen nicht im Faktum meines Bewusstseins. Kein Dogmatiker behauptet, er sei sich der Dinge an sich unmittelbar bewusst. Er behauptet nur, man könne, was Tatsache des Bewusstseins sei, nicht anders erklären, wenn man nicht die Dinge an sich voraussetze. Die alten Dogmatiker oder auch die kritischen Dogmatiker, die sich noch Stoff geben lassen, scheinen das nicht bedacht zu haben, denn sie eifern über das Herausgehen aus dem Bewusstsein, das sie doch selbst tun.

Der Idealist erklärt die Vorstellung aus einem vorauszusetzenden Vorstellenden. Dies ist auch nicht unmittelbar Objekt des Bewusstseins. Im gewöhnlichen Bewusstsein kommen immer Vorstellungen von Dingen außer uns vor. Soll eine Vorstellung vom Vorstellenden vorkommen, muss sie erst durch Reflexion auf sich selbst hervorgebracht werden. Ich //15// bin mir nur des Bewusstseins bewusst und der Bestimmungen des Bewusstseins; auch diese sind Vorstellungen. Im Bewusstsein kann eine Vorstellung vom vorstellenden Subjekt vorkommen, nicht aber das Subjekt selbst. -

Also Idealismus und Dogmatismus gehen aus dem Bewusstsein heraus. Der Dogmatiker geht aus vom Mangel der Freiheit und endigt auch damit. Die Vorstellungen sind ihm Produkte der Dinge, die Intelligenz oder das Subjekt ist ihm bloß leidend. Auch die Freiheit des Handelns geht verloren, und ein Dogmatiker, der Freiheit des Willens annimmt, ist entweder inkonsequent oder er heuchelt, denn dass ich frei handle, geht auch durch die Vorstellung hindurch; nun aber sind [für ihn] die Vorstellungen Eindrücke von Dingen, folglich hängt auch die Vorstellung von der Freiheit des Handelns von dem Dinge ab.

Von der Spekulation aus ist dem Dogmatiker nicht beizukommen, denn alle Prinzipien, durch die man ihn widerlegen könnte, weist er von der Hand. Man muss ihn von den Prinzipien aus widerlegen, von denen er ausgeht.

Der Idealist geht aus von dem Bewusstsein der Freiheit, der Dogmatiker erklärt diese für eine Täuschung. Alles, was man gegen ihn einwenden könnte und was der Idealist vor ihm voraus hätte, wäre das: dass der Dogmatiker nicht alles erklärt, was erklärt werden sollte; dass er unbestimmt ist, denn das Bewusstsein der Freiheit kann er nicht leugnen, er muss es erklären durch eine Einwirkung der Dinge, welches unmöglich ist. Ferner kann er nicht deutlich machen, was für ein Wesen das sein möge, auf welches jede Einwirkung eine Vorstellung hervorbringt. Er kann die Intelligenz nicht genetisch erklären, wohl ab er der Idealist.

Von Seiten der Spekulation lässt sich also mit dem Dogmatiker nichts anfangen, wohl aber von Seiten des innigsten Gefühls. Er [sic] ist den edelsten und besten Seelen unerträglich, welche der Gedanke des Selbstständigkeit und Freiheit das Höchste und Erste ist. -
Nota.
Idealist und Dogmatiker haben keinen Grund gemeinsam, auf dem sie bauen könnten. Kein Argument des einen trifft die Argumente des andern. Man kann nur ihre jeweiligen Ergebnisse nebeneinander stellen und vergleichen - nach Gesichtspunkten, die selbst außerhalb - metà - der Argumentation liegen. 
Da fällt zuerst auf: Das System des Dogmatikers ist unvollständig. Er kann die Intelligenz nicht erklären, aber das war eben die Aufgabe. Wenn sie die Dinge nur widerspiegeln kann, kann sie unmöglich ihrer selbst gewahr werden, das aber tut sie; das ist eine Tatsache. 
Und zweitens ist das System des Dogmatikers abscheulich - auch dies ein Metà-Gesichtspunkt (und zwar, füge ich an dieser frühen Stelle schon hinzu, ein letzten Endes ästhetischer). Freiheit oder Unfreiheit der Intelligenz sind nicht Ergebnisse einer theoretischen Konstruktion, sondern vielmehr deren Voraussetzung.
JE

Im Bewusstsein kommt vor das Gefühl der Freiheit und das der Gebundenheit. Das erstere ist die Folge unserer Unendlichkeit, das letzte unserer Endlichkeit. Das erst führt uns in uns selbst zurück, letzteres aber auf eine Welt. Wer beides miteinander vermengt, ist inkonsequent.

//16// Das Menschengeschlecht und das Individuum gehen aus von der Gebundenheit. Wir alle gehen von der Erfahrung aus, werden aber in uns zurückgetrieben und finden unsere Freiheit; es kommt darauf an, welches Gefühl bei dem Menschen das hervorstechende ist, das lässt er sich nicht nehmen. -

Der Streit des Dogmatismus und Idealismus ist eigentlich kein philosophischer, denn beide kommen nie auf einem Feld zusammen, denn jedes, wenn es konsequent ist, leugnet die Prinzipien des andern. Ein philosophischer Streit kann nur dann entstehen, wenn beide Parteien über die Prinzipien einig, aber bloß über die Folgen uneinig sind. Es ist ein Widerstreit der Denkart, der konsequente Dogmatiker ist sein Gegenmittel, er kann diese Denkart in die Länge nicht ertragen.
Nota.
- Zunächst einmal: Hier haben wir schon das "intellektuelle Gefühl", das später in den Rückerinnerun-gen... wieder auftauchen soll. Denn von allem, was wir sinnlich 'fühlen', empfinden wir uns gebunden. Aber er hat ja Recht: Neben diesem und gegen dieses Gefühl ist im Bewusstsein das Gefühl der Freiheit (wenn auch erst nur als ein Wollen-an-sich), und das ist ein intellektuelles. (Sein genetisches Vis-à-vis ist der Zweck-an-sich, die Idee des Absoluten, aber die Kurve wird Fichte nicht mehr kriegen.) Das ist der ("aufgefundene") Grund der Wissenschaftslehre. Wer ihn nicht teilt, mit dem kann sie nicht philosophisch streiten, sie kann nur 'meta-philosophisch' und praktisch mit ihm ringen.
JE
§ 4.

Des Dogmatikers Voraussetzung ist ein bloßes Denken; eine Voraussetzung, die nicht zu rechtfertigen sein wird, weil sie ja nicht erklärt, was erklärt werden soll. Sobald ein andres System auftritt, das alles erklärt, kann sie nicht lange statt haben.

Der Idealist sagt: Denke dich und gib acht, wie du dich denkst; du wirst eine in sich zurückgehende Tätigkeit finden. Der Idealist legt etwas wirklich im Bewusstsein Vorkommendes zu Grunde, der Dogmatiker aber etwas außer allem Bewusstsein zu Denkendes.

Man könnte sagen: Alles, was der Idealist fordert, ist doch nur eine Vorstellung von meiner in mich zurückgehenden Tätigkeit, aber doch keine zurückgehende Tätigkeit an sich außer der Vorstellung? Respondeo: Von weiter ist auch nichts [sic] die Rede! als dass diese Vorstellung vorkomme, eine Unterscheidung zwischen einer in sich zurückgehenden Tätigkeit und einer Vorstellung von ihr wäre nichtig. Denn eine Tätigkeit des Vorstellens außer dem Vorstellen wäre ein Widerspruch. Alle tätige Substanz als Substanz soll abgehandelt werden, die Philosophie muss zeigen, woher das Substrat komme, wo es statt findet; es ist nur die Rede von einem unmittelbaren Setzen des Ich, dieses ist eine Vorstellung.

//17// Das Prinzip des Idealisten kommt im Bewusstsein vor, darum heißt auch seine Philosophie immanent. Er findet sein Prinzip aber nicht von selbst in dem Bewusstsein, sondern zu folge eines freien Handelns. Wenn man den Gang des gewöhnliche Bewusstsein fortgeht, so liegt darin kein Begriff vom Ich, keine in sich zurückgehende Tätigkeit. Aber man kann sein Ich denken, wenn man vom Philosophen dazu aufgefordert ist; man findet es dann durch ein freies Handeln, aber nicht als etwas Gegebenes.

Jede Philosophie setzt etwas voraus, erweist etwas nicht, und erklärt aus diesem alles andre, auch der Idealismus. Dieser setzt die erwähnte freie Tätigkeit voraus als Prinzip, aus welchem alles erklärt werden muss, das aber selbst nicht erklärt werden kann.
Nota.
- Unser Wissen findet in unserm Bewusstsein statt; beides sind Wechselbegriffe. In unserm Bewusstsein kommen nur Vorstellungen vor. Wenn unser Wissen nach seinen Voraussetzungen fragt, fragt es nach sich selbst. Transzendentalphilosophie kann aus diesem Rahmen nie hinaus, sie ist immanent.
JE 

Der Dogmatismus ist transzendent, überfliegend, aus dem Bewusstsein hinausgehend, der Idealismus ist transzendental, er bleibt innerhalb des Bewusstseins, zeigt aber, wie ein Herausgehen möglich ist; oder, wie wir zu der Annahme kommen, das den Vorstellungen Dinge außer uns entsprechen. Ob man es nun damit bewenden lassen werde oder nicht, kommt auf die innere Denkart und den Glauben an sich an, wer den hat, der kann Dogmatismus und Fatalismus nicht annehmen.

Das ist das, was bei Kant oft vorkommt unter dem Namen: Interesse der Vernunft. Kant spricht von einem Interesse der spekulativen und einem Interesse der praktischen Vernunft und setzt beides [einander] entgegen. Dies ist nun auf seinem Gesichtspunkte richtig, nicht aber an sich, denn die Vernunft ist immer nur eine und hat nur ein Interesse. Ihr Interesse ist der Glaube an Selbstständigkeit und Freiheit, aus diesem folgt das Interesse für Einheit und Zusammenhang, dies könnte man das Interesse der spekulativen Vernunft nennen, weil das Ganze auf einen Grund gebaut und damit zusammenhängfen soll. Mit diesem Interesse verträgt sich er Idealismus besser als der Dogmatismus.
Nota.
- Die Wissenschaftslehre ist Begriff und Schema der Vernunft . Vernunft ist nicht an sich; sie 'hat ein Interesse': das Interesse an Freiheit und Selbstständigkeit. Was eigentlich 'erst' Ergebnis der praktischen Philosophie wäre, ist hier der Philosophie als ihr Motiv bereits vorausgesetzt; die Wissenschaftslehre ist eineAnthropologie. 
JE
§ 5

Wird dem Idealismus einmal die Wahrheit seines Satzes, und zwar als Prinzip, zugegeben, so kann er streng alles davon //18// ableiten, was im Bewusstsein vorkommt. Ob es ihm aber jemand zugebe, das hängt ab von der Denkart des Jemand.

Man sagt, ich habe Bewusstsein, als wenn das Bewusstsein ein Akzidens des Ich wäre. Dies ist eine Absonderung, die erst spät geschieht und wovon die Philosophie den Grund angeben muss. Es ist wahr, ich muss mir noch andere Bestimmungen oder Prädikate zuschreiben, als Bewusstsein; aber alle Handlungen des Ich müssen durch das Bewusstsein hindurch. Alles, was für uns sein soll, ist doch nur ein Bewusstsein.

Auf den ersten Blick ist es richtig, wenn man sagt: mein Bewusstsein ist Ich und Ich bin mein Bewusstsein. Im Bewusstsein kommen zwar Vorstellungen mit dem Gefühle der Notwendigkeit vor, oder das Vorstellende ist ein Bewusstsein dessen, was mit dem Gefühle der Notwendigkeit da ist. Nun aber ist das Vorstellende, was es auch immer sein mag, durch Selbsttätigkeit; also auch diese Vorstellungen sind Produkte der Selbsttätigkeit.

Man darf nicht denken, dass das Ich durch etwas Anderes bewusst werde. Das Ich ist nichts als seine Tätigkeit. Das vorstellende Selbst ist seine Selbsttätigkeit, diese ist sein Wesen, und eine gewisse bestimmte Selbsttätigkeit ist in der und der Lage sein Wesen.  Das Ich setzt sich selbst heißt: Es ist eine in sich selbst zurückgehende Tätigkeit. Wer nicht von allem Objekte abstrahieren kann, der ist zum gründlichen Philosophieren unfähig. Weiter unten wird sichs finden, dass man ein Substrat hinzudenken müsse, aber bis dahin muss man davon abstrahieren.

Da nun alles, was das Vorstellenden sein soll, nur durch Selbsttätigkeit sein soll, sind auch die Vorstellungen, die mit dem Gefühle der Notwendigkeit vorkommen, seine Produkte.
Nota.
- Da steht nicht: Alles, was ein Mensch tut, tut er mit Bewusstsein; sondern: Nur, was einer mit Bewusst-sein tut, ist seinem Ich zuzurechnen. 'Richtig' kann einer aus tausend Gründen handeln, auch aus Neigung oder Zufall und ohne alles Bewusstsein. Vernünftig handeln kann er nur bewusst, und nur in dieser Hinsicht ist er ein Ich.
JE.
§ 6

Dieser Beweis würde völlig hinreichen zu einer kategorischen Behauptung, um das Dass zu erklären, aber nicht zu einer bestimmten Einsicht in das Wie Zu einer solchen Erklärung würde gehören, dass der ganze Akt des postulierten Hervorbringens der Vorstellungen dargestellt würde. Soll der Idealismus Wissenschaft sein, so muss er dies leisten können. Jetzt wird im Voraus drüber nachgedacht, auf welche Weise der Idealismus diese Forderung erbringen könne.

Zuvörderst ist in der Philosophie die Rede von den mit dem Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen. Da diese nun nicht, wie im Dogmatismus, durch ein Leiden, sondern aus einem Handeln der Freiheit erklärt werden soll [sic], so würde dies ein notwendiges Handeln sein müssen, denn sonst würde es zu nichts helfen.

Anfangs zweifelt man, ob diese Vorstellungen Produkte einer Selbsttätigkeit sind, weil man sich dieses Tätigkeit nicht bewusst ist. Wenn die meisten Menschen von Tätigkeit, von Handeln hören, so verstehen sie darunter ein freies Handeln; aber es kann auch ein notwendiges Handeln geben. Ist aber ein notwendiges Handeln noch ein Handeln und nicht vielmehr ein Leiden zu nennen?

(Der echte Dogmatiker, der zugleich Fatalist sein muss, kann das Bewusstsein der Freiheit nicht leugnen, sondern er erklärt es für Täuschung. Das Handeln erfolgt erst zu Folge eines äußern Einwirkens. Vide Alexander von Joch (Hummel) über Belohnungen und Strafen in türkischen Gesetzen.)

Das notwendige Handeln ist nur unter der Bedingung eines freien Handelns notwendig, aber nicht überhaupt notwendig, sonst wäre es mit Leiden einerlei. Das erste absolut freie, unbedingte Handeln ist das Setzen des Ich durch sich selbst; aus diesem könnte ein anderes notwendig folgen, von dem man sagen könnte, es sei notwendig, aber freilich nicht absolut, sondern bedingt.
Nota.
Wenn ich dies tun will, dann muss ich es so machen. Die Freiheit liegt in der Zwecksetzung. In der Ausführung muss ich dem widerständigen toten Sein Rechnung tragen.
 JE

In dem ersten Handeln des Sichsetzens findet schon Freiheit statt. Es ist möglich, dass man nicht auf sich, sondern auf Objekte reflektiere. Dies hängt von der Freiheit ab. Aber wenn ich auf mich reflektiere, so kann ich dies nur durch eine in sich zurückgehende Tätigkeit.

So verhält es sich schon mit dem Prinzip, und so könntet es wohl kommen, dass wir auf eine Reihe notwendiger Handlungen stießen, welche bedingt würden durch das Setzen des Ich, und so würde der Satz, das Ich ist, was es ist, durch //20// sich selbst, der vorher nur formale Bedingungen hatte, materiale Gültigkeit bekommen.

Das Ich ist, was es ist, darum, weil es sich durch sich selbst setzt. Das Selbstsetzen ist nur auf eine gewisse Art möglich, dies setzt, diese setzt eine andere voraus, diese wieder eine andere usw..
Nota.
- Die Wissenschaftslehre sei 'bloße Logik', schrieb Kant in seiner berüchtigten Erklärung gegen Fichte anlässlich des Atheismusstreits. Das ist mehr falsch als wahr, denn sie ist keine Logik der gesetzten Begriffe und notwendigen Schlüsse, sondern eine Genetik des bedingt-notwendigen Vorstellens. Bloße Logik ist das nicht. Es ist nicht nur Verfahren, sondern hat Gehalt; es hat Blut, Fleisch und Knochen.
 JE

Alles Geistige wird durch sinnliche Ausdrücke bezeichnet, daher kommen viele Missverständnisse. Denn die Zeichen sind oft willkürlich, und drum muss erst, wenn man ein Zeichen gebraucht, eine Erklärung gegeben werden. Wenn man eine Erklärung geben soll, wo das Wort fehlt, da muss man die Sache selbst, d. h. man muss genetisch erklären. Ich setze mich, und indem ich dies tue, bemerke ich, ich tue es auf eine gewisse Art und kann es nur so tun. Nun kann es kommen, dass ich auch vieles andere nur so tun kann, und das heißt ein Gesetz. Man spricht daher von Gesetzen des Anschauens, des Denkens usw.. Dieses notwendige Denken sind Denkgesetze. Gesetze sind eigentlich nur für ein handelndes Wesen; dies sehen wir für gewöhnlich als frei an, denn sagen wir: du musst so oder so verfahren, so sagt man nach der Analogie: Das Vernunftwesen muss so oder so verfahren, und dies sind seine Gesetze.

Die weitere Aufgabe für den Idealismus müsste also sein: Wir sind zu der Einsicht gekommen, dass das Setzende und das Gesetzte dasselbe sind. Ich kann das Ich nur auf eine gewisse Weise setzen, aber dies kann ich nicht, ohne auch ein zweites zu setzen, und dies nicht ohne ein drittes, und so könnte es kommen, dass wir alle die Gesetze, zufolge denen die Welt für uns zu Stande kommt, von dem ersten ableiten könnten. Dies müsste der Idealismus nachweisen.
Nota.
- Das griechische poiein haben die lateinischen Autoren mit ponere übersetzt, und das wurde im Deutschen zu setzen. Satz, Satzung, Gesetz - überall steckt dieselbe Vorstellung drin. Doch für die Vorstellung selbst gibt es kein Wort. Die Analogie zu einem sinnlichen Vorgang muss ausreichen, und tut es in den meisten Fällen. Doch eine Metapher ist kein Begriff. Man kann daraus nicht konstruieren und konkludieren. Wenn es vorangehen soll, muss immer das lebendige Vorstellen neu bemüht werden. Das nennt Fichte die genetische Darstellungsweise.
JE
§ 7

Die meisten Idealisten vor Kant sagten, die Vorstellungen sind in uns, weil wir sie in uns hervorbringen; sie verstanden es so: Wir können diese hervorbringen oder nicht. Dies ist ein grundloser Idealismus.

Es lassen sich zwei Wege denken, die das Räsonnement leiten, //21// entweder man geht aus von der uns bekannten Beschaffenheit der Welt oder den notwendigen Vorstellungen, die im Bewusstsein vorkommen: Dies ist ein bloßes Herumtappen und Probieren; man lässt sich immer das Resultat vor Augen schweben. Dies taugt nicht.


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