S. 220 - 230




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4.

Wir beziehen das Ideale auf das Reale. Bestimmtheit, Fixiertsein ist der Hauptcharakter desselben, dies Realen sowohl als Denken als des Subjekts, das durch dies reale Denken entsteht. Das Denken steht bei dem Realen gleichsam still und ist nicht, wie bei dem Idealen, in Bewegung.  

Was ist nun in diesem Realen das Gedachte? Die produzierende Einbildungskraft und, da hier Bestimmtheit eintrifft [sic], die Einbildungskraft im Produzieren. Es ist ein Produkt der Einbildungskraft, also was ists?

Die Einbildungkraft synthetisiert ein unendlich teilbares Mannigfaltiges, nun ist dieses hier ein Stehendes - daher, weils ein Objekt der realen Tätigkeit ist. Demnach wird nicht aufs Mannigfaltige gesehen, sondern aufs Eine. Es ist das Erblickte ein Teilbares bis ins Unendliche, es ist teilbarer Stoff, Materie im Raume. Eben die Vereinigung des Mannigfaltigen, wo auf die Vereinigung nur gesehen wird, macht es zur Materie. Darauf wird sich nun das Ideale beziehen und das Reale dadurch affiziert werden und sein Gepräge erhalten.

In demselben Zustande nämlich, da ich bestimmt denke, denke ich zugleich geistig und frei, mithin muss diese Freiheit auch aufs bestimmte Denken Einfluss haben und seine Spur zeigen. Welches ist nun dieses Produkt des Idealen im Bestimmen? Nichts anderes als das ideale Denken selbst, also ein sich-Bestimmen, Selbstheit, Freiheit müsste doch in demselben liegen.

Das Reale ist liegende tote Materie, aber es wird gedacht durch ein frei tätiges Wesen und ist dessen Bestimmung; es muss also noch das Gepräge desselben tragen, wodurch es auch nur fähig ist, Gegenstand desselben zu werden.
Nota.
- Wenn es erlaubt wäre, aus der Wisenschaftslehre eine positive Metaphysik herauszulesen - nämlich eine Antwort auf die Frage, ob die Welt 'im Grund' aus Stoff oder aus Geist bestünde -, so belegt diese Stelle hinreichend: 'Wenn ich sie nach etwas nennen müsste', so wüsste ich nichts anderes als Materialismus.
JE

Die Absolutheit kann nicht sein Absolutheit des Handelns, sondern bloß Asolutheit des Seins, ein Sein durch seine Natur, durch seine Bestimmtheit. Die Materie wird zu etwas an sich selbst und durch sich selber, ein selbstständiges Ding, da es vorher bloß ein mir vorschwebendes war, es wird für mich ein  gegebenes, ganz eigentlich ohne mein Zutun vorhandenes Objekt. 

Denn ich bin nur das Freie; alle Beschränkung liegt außer mir. Dieses Beschrän-//222//kende soll nun sein durch sich selbst, was es ist. Es ist hier ebenso wie mit der notwendigen Aufgabe, beides ist etwas ohne [mein] Zutun Vorhandenes. Ich greife mich heraus aus einer Masse von Bestimmbarem, ich lange nicht über die Grenze des Beschränkten hinein [sic]

Es gibt ein Höchstes und ein Niedrigstes. So hier. Das Bestimmbare für geistige Tätigkeit [ist das] Reich der Vernunft; ein Niedrigstes: Ich erblicke mich als Reelles versinnlicht, und die tiefste Versinnlichung ist mein Produkt, zu diesem liegt ein Bestimmbares außer mir, Materie. Aber woher diese? Etwa von mir selbst? Wird mir nicht einfallen. Ich habe es wohl auch selbst gemacht? Nein, denn ich trage auf dasselbe die Selbstständig- keit notwendig über dadurch, dass ich es denke; es wird ein Sein an und für sich, für sich bestehend.

Darinne also liegt der Unterschied. Durch das beschriebene Denken wird das Ding Noumen, id est etwas durch freies Denken Produziertes. Eben das absolute Denken ist ein sich-Denken, und dies geht durch unser Ganzes Bewusstsein hindurch, kommt bei aller Empirie vor und gibt allem von der Einbildungskraft Produzierten inneres Festigen. 

Kant sagt: Wir legen der Erscheinung ein Substrat unter, und dieses ist ein Noumen; aber das hat zu mancherlei Missverständnis Anlass gegeben. Das Produkt der Einbildungskraft und das Produkt des reinen Denkens, die Erscheinung und das Erscheinende ist eins. Nur die Philosophie unterscheidet, was im wirklichen Bewusstsein eins ist. 

Es liegt der Erscheinung ein Noumen zugrunde; bestimmter so: Die ganze Welt ist Erscheinung und auch Noumen, sie ist Produktion meines ganzen Geistes; dieser ist Denken und Hinschauen, in dem wirklichen Bewustsein handelt er als Ganzes. Beides, Noumen und Anschauung, ist eins, nur von verschiedenen Seiten durch die notwendige Duplizität des Geistes angesehen.

Durch dieses reine Denken wird das NichtIch Substanz, aber anders, als es oben das Ich wurde. Da wurde nur die Begrenztheit herbeigeführt, das Materielle war schon, und dies wurde durch das materielle Denken begrenzt, das schon vorhandene Mannigfaltige. Aber hier ist schon die Begrenztheit, und es wird nur das durch sich selbst Bestehende herbeigeführt.

In der Deduktion hebt das Bewusstsein von mir selbst an als dem Bewusstsein eines Unendlichen, und nur dadurch, dass //223// ich die Unendlichkeit nicht fassen kann, dadurch, dass sich mit der unendlichen Anschau- ung die Endlichkeit des empirischen Denkens verknüpft, werde ich mir zum Endlichen. 

Umgekehrt, das Bewusstsein der Welt geht ja nicht aus von der Unendlichkeit, sondern von der Endlichkeit. Meiner werde ich mir ganz bewusst, der Welt aber nicht als einer ganzenWelt, sondern einzelner Objekte. Ich fasse meine Begrenztheit auf, das die Absolutheit in sich Tragende kommt erst durch die Idee hinein.  

Der Mensch des gemeinen Bewusstseins wohl findet sich ganz, die Welt aber nicht ganz, der Begriff des Universums wird erst allmählich zusammengesetzt. Das Ich als Substanz kommt dadurch zu Stande, dass das ideale Denken begrenzt wird, und das Wesen des Ich besteht daher bloß in Tätigkeit, das NichtIch aber dadurch, dass das reelle Denken vergeistert wird, dann ist es Sein, dessen Wesen nur in Ruhe besteht.
Nota.
- In der Deduktion, d. h. dem 'zweiten Gang' der Wissenschaftslehre, komme ich zunächst als ein Unendliches vor; nämlich dem Philosophen. Der Mensch des gemeinen Bewusstseins - also auch der Philosoph, sofern er nicht auf dem Katheder steht - dagegen findet sich vor als ein Ganzes, nämlich ein Begrenztes. Das Ich als Substanz, als das die Absolutheit in sich Tragende, kommt erst durch die Idee hinein. - Ist es so gemeint, oder bin ich zum banal?
JE
5. 

Alles wird klarer werden, wenn wir beides jetzt beschränkt denken; das Ideale des Bestimmten und das Bestimmte des Idealen vereinigen, also Synthesen vereinigen. Unser Plan ist einfach. Es versteht sich wohl, dass auch dieses Denken nur ein Denken ist und in einem Moment vorkommt, es also wohl vereinigt sein muss; was daraus entsteht, haben wir gesehen. 

Das jetzt Angezeigte ist also nichts anderes als ein besonders bestimmtes ideales und besonders bestimmtes reales Denken, beide sind auch unzertrennlich. Das Ich kommt zu Stande durch die Bestimmtheit des idealen Denken, dieses sehe ich durchs Ding und das Ding durchs Ich. Das erstere geschieht, in wie fern ich die Freiheit in der Anschauung des Objekts realisieren kann; letzteres bloß, in wie fern ich meinen Zweckbegriff realisiere.

Ich bin nicht ohne Welt und meine Welt ist nicht ohne mich. Nun wird, woraufs ankommt, durch diese wech- selseitige Beziehung auf einander, durch die Unzertrennlichkeit beider, beides auf eine gewisse Weise weiter charakterisiert. 

//224// A) Das NichtIch durchs erstere. Das Ich wird, weil, wie wir oben sahen, sein Handeln Dauer in der Zeit hat, durch die Zeit hindurch ausgedehnt, es ist zu aller Zeit, die nur gedacht wird. Zeit und Wirkung der Frei- heit sind nur durch einander; nun wird, so gewiss das Ich durch die Zeit ausgedehnt wird, das NichtIch als für sich Bestehendes mitgedacht, daher fällt es als Ding, als Noumen, auch mit in die Zeit und erscheint als seiend zu aller Zeit, weil das Ich das NichtIch immer bei sich führt. Seine Bestimmungen durch die Freiheit des Ich, seine Akzidenzien, verwandeln sich durch die darauf bezogene Freiheit des Ich im Verhältnisse der Zeit.

Von Organisation der Natur ist noch nicht die Rede.
Nota.
- Treffend spricht F. hier von 'meiner' Welt. 'Unsere' Welt ist die Welt der 'Reihe vernünftiger Wesen', aus der ich mich 'auswähle' - so wie mir lebensgeschichtlich 'unsere' Welt als Horiziont vor gegeben ist als Aufforde- rung, 'meine' Welt zu entwerfen.
JE

Die Ursache und die Wirkung sind gleichzeitig, durch den Begriff der Kausalität entsteht keine Zeit. In der Natur entsteht sonach keine Zeit, die Zeit entsteht nur im Ich, in dem Begriff der Substantialität, auf das Ich angewendet, in dem Durchlaufen der Handlungsmöglichkeiten durch die Einbildungskraft. Dadurch, dass das Objekt bloß Objekt für das handelnde Ich ist, wird ersteres mit durch die Zeit ausgedehnt. 

Dies gibt die Bestimmbarkeit des Objekts für die Wirksamkeit des Ich mit und fällt in die schon bemerkte Lücke. Wir konnten nämlich nur auf ein Produkt der Wirksamkeit des Ich schließen. Nun kommt aber in der Erfahrung ein Zweites vor, auf welches wir beim Produzieren handeln; das ist das NichtIch als Noumen und die mit ihm unzertrennliche Erscheinung. 

Dies ist zu aller Zeit schlechthin gegeben, ohne unser Zutun vorhanden, auf dieses geht unsere Wirksamkeit und verändert die Erscheinung, doch so, dass das Dauernde desselben immer bleibe, an dem unsere eigene Selbstständigkeit objektivisiert ist [sic]. Unbegreiflich ists: Wenn ich wirke, verändere ich doch das ganze Ding, denn es ist immer ein Fortgehen von entgegengesetzten Zuständen zu entgegengesetzten Zuständen; und doch soll das Ding immer bleiben. 

Es bleibt nichts als das Denken des Dinges, das Noumen, an dieses hängt sich die Identität des Bewusstseins an. Im Ding als dem Bestimmbaren, so wie es gegeben sein soll, ehe wir darauf wirken, kann man die unzer- trennliche Vereinigung des Noumen und //225// des Phänomen [sic] am besten erklären. Dieses Bestimmbare ist nicht formlos, sondern erscheint uns nur als gestaltlos. Das Bestehen durch sich selbst, wodurch es erst zu einem Dinge wird, ist bloß durchs Denken; die Gestalt aber durch die Einbildungskraft. Sie ist aber nur eine verworrene Darstellung unserer Handlungsmöglichkeiten, die in dem Dinge ausgedrückt sind; alles, was ich daraus machen könnte. 
Nota. 
- Bemerkenswert für die ästhetische Betrachtung: die Gestalt der Dinge als Bild meiner Handlungsmög- lichkeiten: "alles, was ich daraus machen könnte". Gemeint sind die Dinge, wie sie im praktischen Leben wirklich sind. Das betrifft auch noch die Dinge im kultischen Bild: nicht nur, was ich faktisch, sondern auch, was ich im Glauben daraus machen kann. Aber doch eben ich.
So die Kunst unbeirrt bis in die Renaissance. Erst mit dem Aufblühen der Landschaftsmalerei kommt die Idee auf, die Dinge so darzustellen, wie sie "an sich selber sind"; ohne Hinblick auf das, was ich daraus machen kann. Das ist ein unnatürlicher Blick, er erfordert eine besondere Konzentration, ein absichtliches Absehen von aller Absicht.
 Dazu eignet sich kein wirkliches Ding eher als die Landschaft. Und wer sich auf die Darstellung der Landschaft verlegt, wird früher oder später darauf verzichten, 'Handlungsmöglichkeiten' in ihr zu erspähen, und sich auf die Anschauung des 'rein Ästhetischen' beschränken.
Dass die Kunst zeitweilig ungegenständlich wurde, war kaum zu umgehen, hat sich aber auch bald erschöpft. Wo keine Gegenstände sind, sind auch keine Handlungsmöglichkeiten, und die Abstraktion abstrahiert von gar nichts. Die ästhetische Pointe ist ja eben: an den Gegenständen von den wirklichen Handlungsmöglichkeiten abse- hen. Ungegenständliche Bilde wirken seit ein paar Jahrzehnten beliebig und rein dekorativ. 
JE
 
Nun fange ich darauf hin an zu handeln und verändere die Gestalt des Dinges ganz. Was ist[s] denn nun, welches durch die Zeit des Handelns durch dauert? Bloß mein Denken mit der verworrenen Darstellung alles dessen, was ich tun könnte, unter welchem ich aber immer bloß das Eine tue. Beispiel von einem Baume, von dem man ein Stück nach dem andern abschneiden kann pp. 

Dies Beispiel gilt nur von der Wirksamkeit in Gedanken; drum sagt Fichte anderwärts: Substanz ist Akzidens in der Vereinigung, ihre Form ist das vereinigte Denken, und dieses ist das ideale Denken des Bestimmens. Jedes Ding ist bezogen auf unsere mögliche Wirksamkeit und auf nichts anderes als die Wiederherstellung des Quantums dieser Wirksamkeit.

Unsere Aufgabe ist gelöst. Wir hatten das ideale und reale Denken selbst als vollkommene Synthesis aufzustellen. Dies ist geschehen, das Bestimmbare in beiden ist angegeben, beide sind durch einander bestimmt, β-γ ist vereinigt, die Bestimmtheit meiner selber mit dem Reiche der Vernunft überhaupt, auch B und C, die Bestimmtheit meines Wirkens als sinnlicher Akt mit dem Objekt, worauf dieses mein Wirken geht: C. 

Beide Glieder sind vereinigt, indem ich mich, da* ich gleich teils Individuum bin, teils Geist bin, nicht erblicken kann ohne Ding, das mir zunächst liegend ist: mein Produkt, entfernt liegend aber ein Objekt (Materie) ist, und umgekehrt das Ding nicht ohne mich.
*) in Krauses Ms.: dass 
Nota I.
 - Oder, wie der Phänomenologe sagt, zuerst waren die Dinge zuhanden, bevor sie vorhanden sein konnten.
Nota II.
- 'Das Ideale' ist überhaupt nur da, um das Reale verständlich zu machen. Ideal liegt dem Ich zu Grun- de das Wollen-überhaupt: unendlicher Trieb, Streben. Real verbraucht die endliche Wirksamkeit allerdings Kraft. Es reicht nicht, dass ein Produkt entsteht: Auch die verbrauchte Kraft - Quantum der Wirksamkeit - muss wiederhergestellt werden, um das endliche, empirische, reale Ich zu erhalten.
JE
                                        
§ 18 [Zusammenfassung]

Da das Ich in dem Anschauen seines reinen Denkens zugleich bestimmt ist, so wird ihm notwendig dieses reine Denken selbst (das heißt, das Ich als Produkt //226// dieses Denkens als freies Wesen) ein Bestimmtes. Ein freies Wesen als solches kann aber nur bestimmt sein durch die Aufgabe, sich selbst mit Freiheit zu bestimmen. Indem das Ich dieses denkt, geht es von einer Sphäre der Freiheit überhaupt als Bestimmbaren über zu sich als dem in dieser Sphäre Bestimmten, und setzt sich dadurch als Individuum, im Gegensatz mit einer Vernunft und Freiheit außer sich.

Da das Ich im bestimmten Denken zugleich frei ist und nur mit Freiheit das Bestimmte denkt, so trägtes auch die Freiheit auf das Bestimmte über; aber Freiehit in der bloßen Bestimmtheit wie in der Natur ist sein durch sich selbst. Dadurch wird dem NichtIch ein vom Ich unabhägiges Sein zugeschrieben, und es wird dadurch erst ein Ding. In wiefern es dieses Sein hat, ist es das fortdauernde Bestimmbare in allen Bestimmungen, die es durch die Freiheit des Ich erhät.

Das Denken des Ich als [eines] freien, aber beschränkten Wesens und das des NichtIch als [eines] für sich bestehenden Dinges sind gegenseitig durch einander bestimmt. Das Ich schaut an seine Freiheit nur in den Objekten seines Handelns, und es schaut an diese Objekte nur, inwiefern es mit Freiheit auf sie handelt.








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